Oberst a.D. Prof. Dr. Walter Hundt, Fichtenwalde


Information Nr. 23 der AGr Geschichte der NVA und Integration ehem. NVA-Angehöriger in Gesellschaft und Bundeswehr im Landesverband Ost des Deutschen BundeswehrVerbandes, Berlin 2009


(Zum Erscheinen von „Jürgen Gröbsch: Der Dienst für Internationale Verbindungen der NVA. Einblicke in ein Schattenreich, Verlag Dr. Köster, Berlin 2003, 210 S.)


Der Titel ist in letzter Zeit in verschiedener Hinsicht - vor allem im Zusammenhang mit der gezielt forcierten DDR- und damit NVA-Diskussion - verstärkt in die Debatte geraten, nachdem sein  Erscheinen seinerzeit 2003 gar nicht so spektakulär wahrgenommen wurde.

Bereits der Titel mißfällt dem Insider in zweierlei Hinsicht: 1. war die Bezeichnung „Dienst für Internationale Verbindungen der NVA“ - wie auch jüngste Rücksprachen des Rezensenten mit Führungskadern des ehemaligen Ministeriums für Nationale Verteidigung ergaben - absolut ungebräuchlich, also faktisch gab es ein Strukturelement mit dieser Bezeichnung nicht; 2. stellt der Untertitel einen gezielten manipulativen Fehlgriff dar, der gezielt falsche Erwartungen wecken und die internationalen Aktivitäten der NVA als „geheimnisvoll und anrüchig“ erscheinen lassen soll.

 

Was den Autor  betrifft, so ist er augenscheinlich über bestimmte Strecken bemüht, Interessantes aus seinem Arbeitsbereich, so bei der Begleitung von DDR-Delegationen im Ausland oder ausländischer Militärdelegationen in der DDR, zu schildern. Verlag und Herausgeber sprechen von einer „Einmaligkeit der Karriere“, von „einer hochrangigen Stelle“ im Ministerium (letzter Dienstgrad Oberstleutnant! Davon gab es in der NVA in den achtziger Jahren etwa 9.800). Es handelte sich um eine Tätigkeit in der Verwaltung Internationale Verbindungen (VIV) des Ministeriums für Nationale Verteidigung in Strausberg. Diese Tätigkeit hatte wenig bzw. nichts zu tun mit der politisch-strategischen Seite dieser Arbeit, statt dessen mit der Betreuung von Delegationen, der Organisation von offiziellen Geschenken, Jagden und Protokollfragen - für den unbeteiligten Leser nicht ohne Interesse. Die Zeitschriften „Soldat und Technik“ und das „Marineforum“ sprechen von „einmaligen und aufschlußreichen Einblicken in die geheimen Aktivitäten der NVA-Militärdiplomatie“, also „Einblicke in ein Schattenreich“!? Der Herausgeber bezeichnet das Buch gar als „eine wissenschaftliche (?  W.H.) Sensation, die eine wichtige Forschungslücke in der NVA-Forschung schließt“. Er ergänzt diese Einschätzung mit seiner fragwürdigen Position, daß die NVA „sich 30 Jahre lang geheim auf den großen alles entscheidenden Angriff auf die BRD vorbereitet hatte“ (S. 5).


Der Autor gibt eine absolut verdrehte Sicht der DDR-Diplomatie im allgemeinen, die für ihn realisiert wurde durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, den „Dienst für internationale Verbindungen der NVA“ und den Staatssicherheitsdienst (S. 51). Das trifft auch auf das militärdiplomatische Gebiet zu. Begrifflich strotzt die Arbeit von großer struktureller Verwirrung. Da existiert der von ihm so genannte „NVA-Dienst für Internationale Verbindungen“. Zwischen der Verwaltung Internationale Verbindungen, die zum Hauptstab gehörte, der zur Politischen Hauptverwaltung gehörenden 10. Verwaltung, der bis 1974 der Militärattaché-Dienst als der offizielle, in den DDR-Botschaften tätige Auslandsdienst der NVA unterstand, und der Verwaltung (später Bereich) Aufklärung, der die Militärattachés ab 1974 unterstellt waren, sowie dem Ende der achtziger Jahre gebildeten Organisationselement Internationale Arbeit beim Chef des Hauptstabes (Rüstungskontrollfragen) kommt es oft zu unverzeihlichen Verwechslungen. Offenbar hat der Autor auch keine Kenntnis der Arbeitsteilung zwischen der Verwaltung Aufklärung der NVA und der HV A des MfS (Markus Wolf).

 

Statt einer systematischen Darstellung der internationalen Tätigkeit der NVA werden nicht selten reine Zufallsfakten aneinandergereiht. Es entsteht der Verdacht, daß der Autor vieles nur vom Hören-Sagen weiß und dennoch in die Darstellung seiner eigenen Erlebnisse aufnimmt. Aus dem Begriff des in der Diplomatie aller Staaten vorhandenen Geheimen macht er „Geheimnisvolles“. Normale, zwischen Staaten übliche und völkerrechtlich völlig korrekte Technik- und Waffenlieferabkommen werden zu geheimnisvollen „Waffendeals“ hochstilisiert, um sie anrüchig erscheinen zu lassen. Diplomatische Geheimnisträger der DDR galten nach seiner Auffassung international grundsätzlich als „unaufrichtig und verlogen“ - eine Meinung, die in der praktischen Tätigkeit im Ausland  tausendfach widerlegt wurde. Die beigefügten Dokumente sind sämtlich ohne außenpolitische bzw. militärpolitische Aussagekraft. Beim Leser entsteht der Eindruck, als mache hier jemand mit seinem früheren Staat  eine alte, sehr persönliche Rechnung auf. Ende 1984 wurde Gröbsch auf Forderung der Militärabwehr („Verwaltung 2000“, ein Bereich des MfS innerhalb der NVA) von seiner Tätigkeit im Ministerium (VIV) abberufen und zur Zivilverteidigung versetzt.


Zum Verlag Dr. Köster, Berlin, und zu seiner von Hauptmann d. R. Dr. Hans Krech verantworteten und herausgegebenen Reihe „Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik“, in der der besprochene Titel von Jürgen Gröbsch als Band 10 erschien, soll festgestellt werden, daß dort eine große Anzahl äußerst anspruchsvoller Buchtitel erschien, die als militärhistorisch und militärpolitisch ausgesprochen fundiert, akribisch recherchiert und objektiv abgefaßt bezeichnet werden können. Als Beispiele dafür seien die umfangreiche Untersuchung von Bodo Wegmann „Die Militäraufklärung der NVA. Die zentrale Organisation der militärischen Aufklärung der Streitkräfte der Deutschen Demokratischen Republik“ (2. Auflage 2006, 716 S.), der von Biedermann, Schreyer und Wegmann herausgegebene Sammelband „Die Militäraufklärung der NVA - ehemalige Aufklärer berichten. Im Zentrum und im Einsatz“ (2007, 418 S.) und Bernd Biedermanns „Offizier, Diplomat und Aufklärer der NVA. Streiflichter aus dem Kalten Krieg“ (2008, 316 S.) genannt.


Die Diskussion dieser Veröffentlichungen nimmt bisher noch einen zu geringen Raum ein. Dies wird sich erwartungsgemäß im Jahr 2009 im Zusammenhang mit weiteren Veröffentlichungen ändern, die die NVA-Thematik mit dem Abstand von dann zwei vollendeten Jahrzehnten behandeln. Der BundeswehrVerband wird dazu einen Beitrag zu leisten versuchen.