Prof. Dr. Walter Hundt, Verband für Internationale Politik und Völkerrecht e.V., Fichtenwalde


Erschienen in: WeltTrends, Nr. 82, Januar/Februar 2012, S. 125-127


König, Gerd: Fiasko eines Bruderbundes. Erinnerungen des letzten DDR-Botschafters in Moskau. Edition Ost im Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2011, 464 S.


Unverbrüchliche Freundschaft?


Der Autor, gestandener Diplomat, langjähriger Botschafter und Stellv. Außenminister, schließlich 1987-90 in einer historischen Periode einschneidender gesellschaftlicher Prozesse, an deren Ende es sowohl die Großmacht UdSSR als auch sein Land, die DDR, nicht mehr gab, letzter Botschafter in Moskau, beschreibt eine interessante Innensicht der Ära Gorbatschow.  Als kenntnisreicher Insider, als außenpolitischer Beobachter, Analytiker und Akteur legt er eine Darstellung der Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR in den letzten Jahren vor, die das Zeug hat, zu einem Standardwerk auf diesem Gebiet zu werden - bis ihm der Tod  2009 die Feder aus der Hand nahm. Eigenes Erleben und tiefgründiges Archivstudium führten zu einem Werk, das nicht zuletzt auch ungeheuer viel bisher Unbekanntes und auch nachträglich Erhellendes enthält - Enttäuschungen bleiben dem Leser dabei nicht erspart! Bereits in der Zeit vor der Wende gehörte es objektiv zu seinen vorrangigen Aufgaben, aus der sowjetischen Realität das ZK der SED und seine Regierung umfassend zu informieren, real zu bewerten, ohne Schwächen und Fehler auszulassen, und ungeschminkte Wahrheiten zu übermitteln, die oftmals nicht dem in Berlin erwarteten Wunschbild entsprachen.


König stößt dabei oftmals auf massive Uninformiertheit und unsinnigen und gefährlichen Hochmut in den Apparaten auf beiden Seiten, die den Ländern und ihren führenden Parteien viel Schaden zufügten, was nicht zuletzt zu den uns allen bekannten Spannungen zwischen Funktionären und Teilen der Bevölkerung sowie zu wachsender Unzufriedenheit beitrug. Er bestätigt – entgegen vielen anderslautenden Auffassungen - daß Gorbatschow und Honecker lange Zeit bemüht waren, enge Zusammenarbeit und operative Kooperation zu gewährleisten. Die von Honecker und Axen gegenüber dem Botschafter immer wieder erhobene Forderung, daß man mit Parteilichkeit und Klassenstandpunkt auch in schwierigen Zeiten und Situationen alles begreifen, alles verstehen und alles erklären könne, erwies sich in der diplomatischen Praxis als wenig hilfreich. Und dies besonders in Zeiten, in denen sich eine unzureichende Berichterstattung und eine falsche Medienpolitik zu rächen begannen und ein Überschwappen von Perestroika und Glasnost auf die DDR nur schwer zu verhindern war. Angesichts der allmählich zunehmenden Spannungen zwischen beiden Seiten beweist König, daß die DDR lange Zeit die Möglichkeit hatte, entspannend zu wirken. Er selbst hatte aus „vorderster Front“ dazu zahlreiche  konkrete Vorschläge unterbreitet (z.B. Bericht an das Kollegium des Außenministeriums 1988), die aber kaum Beachtung fanden. Hart geht König mit sich als Verantwortungs- und Entscheidungsträger (Botschafter, Mitglied des ZK)  angesichts der vielen Unterlassungen und Fehlentscheidungen der DDR ins Gericht, was zeigt, daß die Führung - und damit auch er -  ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden.


Was die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der DDR grundsätzlich betraf, hebt der Autor immer wieder hervor - auch im Gegensatz zu manchen nach der Wende verbreiteten Unwahrheiten und Unrichtigkeiten - , daß es ausschließlich Schwierigkeiten, Probleme und demzufolge Streit gegeben habe - daß sie beidseitig von großem Nutzen und vorteilhaft waren. Beide Staaten und ihre Führungsparteien rangen um die Gemeinsamkeit der politisch-theoretischen Positionen und der praktischen Politikumsetzung. Das führte lange Zeit zu einer weitgehenden Übereinstimmung in allen Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Dennoch war die DDR ein Staat mit begrenzter Souveränität. Beide Staaten befanden sich infolge der historischen Entwicklung in einer gewissen gegenseitigen, graduell und prinzipiell sehr unterschiedlich gearteten Abhängigkeit und Interessenverkettung. Diese allein schufen schon durch die gewaltige unterschiedliche Größe des Territoriums und des allseitigen Potentials asymetrische Bruderschaft und Partnerschaft und - wie wir heute nicht zuletzt auch dank Botschafter König wissen - Probleme und Schwierigkeiten.  Und es gab eine Art Interessendiktat des Größeren, wodurch vielfach wirtschaftliche, militärische und andere Meinungsverschiedenheiten, Differenzen, Auseinandersetzungen, Kollisionen und Zusammenstöße auftraten. Die DDR praktizierte eine erzwungene, aber auch gewollte „Disziplin“ im Großen, aber nicht selten auch im Kleinen und ein politisch basiertes Gemeinschaftsdenken und Gemeinschaftsdemonstrieren. Das erlaubte aber auch eine beispiellose hochgradige Verflechtung der Volkswirtschaften und anderer Gebiete.


Im Grunde genommen gab es - unbesehen der erwähnten Vorteilhaftigkeit der Beziehungen – sowjetisches Interessendiktat seit 1945 und vor allem dann ab 1949 bis zum Ende der DDR.  Die Sowjetunion schuf dazu in Ostdeutschland ein ganzes System des Einflusses und der Abhängigkeit (sowjetisches Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsmodell). Ab etwa 1985 vernachlässigte die UdSSR ihre jahrzehntelang mehr oder weniger strikt beachteten Bündnisverpflichtungen gegenüber den sozialistischen „Bruderländern“ gröblichst, so König. Die von ihr an den Tag gelegte Inkonsequenz und Inkompetenz kam in der Deutschland-Frage der BRD-Strategie zugute. Sie  stahl sich aus ihrer Verantwortung und ließ zunehmend tatsächliches Verständnis für politische Zusammenhänge im Bündnis vermissen, was immer mehr zum Verzicht auf kollektive Beratung führte, die durch bilaterale Treffen als „Pflichtübung“ ersetzt wurden. Dieser Kurs Gorbatschows verstärkte Zweifel, Bedenken, Entfremdung und Abschottung, nicht zuletzt auch ideologische Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche in der Innen- und Außenpolitik (Haltung zu China,  Afghanistan-Intervention, Olympiade-Boykott 1984, weitere ökonomische Integration, sozialistischer Rechtsstaat, Rohstoff-, Brennstoff- und Getreidelieferungen, Kreditierungs- und Währungskursfragen, aber auch „alte“ Probleme wie SDAG Wismut, BAM-Finanzierung und die unentgeltliche Versorgung der GSSD), die durch die Haltung der SED den Charakter von Grundfragen annahmen. Zur Diskussion solcher Fragen bestand auf sowjetischer Seite nur sehr geringe bzw. keinerlei Bereitschaft. Streitgegenstand wurde ab 1987 auch die neue sowjetische Militärdoktrin und die zahlreichen gefährlichen Zugeständnisse an die USA sowie die veränderte sowjetische Deutschland-Politik mit all ihren Konsequenzen für die Staaten des Warschauer Vertrags und damit besonders für die DDR. Ferner entwickelte die UdSSR gegenüber  der DDR und anderen sozialistischen Staaten „eigenartige Gepflogenheiten“ im zwischenparteilichen und zwischenstaatlichen Umgang (König), wozu auch die Bereitschaft gehörte, im Interesse eigener ökonomischer Vorteile grundsätzliche Interessen zu opfern. Das traf auch auf die nicht abgestimmten Abrüstungsinitiativen Gorbatschows zu. Untätigkeit und mangelnde sowjetische Unterstützung  wurden von einem Teil unserer diplomatischen Praktiker vor Ort als Verrat bezeichnet. Maßlose Enttäuschung verursachte der spürbare Übergang von der Heuchelei der angeblich fortbestehenden unverbrüchlichen Freundschaft mit der DDR zu einer demütigenden Gleichgültigkeit. All dies hatte einen drastischen Verfall des Sozialismus-Bildes auf sowjetischer Seite zur Folge. „Vom engsten Verbündeten und treuesten Freund“ blieb nicht viel übrig“ (König).  


Dem stand auf ostdeutscher Seite unkritisches Beharren der SED, Überhöhung der erreichten eigenen Erfolge und Ablehnung jeder Reformnotwendigkeit gegenüber, woran natürlich auch die KPdSU nicht unschuldig war. Gorbatschows Behauptung, man habe seit langem mit Honecker und der SED-Führung  „offen und ehrlich“ gesprochen, weist König als langjähriger Augenzeuge als unwahr und verlogen zurück. Die sowjetische Führung habe selbst nach dem Mauerfall keinerlei Konzeption für die Entwicklung der DDR und die sich immer mehr als denkbar herausschälende Wiedervereinigungs-Debatte gehabt.