Prof. Dr. habil. Walter Hundt, Brandenburgisches Entwicklungspolitisches Institut, Potsdam


Vor Kuratorium und Beirat der Stiftung Entwicklung und Frieden in Bonn vorgetragener Konferenzbericht  über das Wissenschaftliche Symposiums der SEF, der Deutschen Kommission Justitia et Pax und der Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche Deutschlands.  

Nachdruck in: WeltTrends, H.19, Sommer 1998, S. 190-193


Ostafrika: Krisen, Gewalt und keine Ende?


Mit der regionalen Konfliktbearbeitung im ostafrikanischen Raum als Herausforderung für Politik und Kirchen beschäftigten sich am 01. und 02. Dezember 1997 in der Katholischen Akademie Berlin ca. 60 Teilnehmer. Veranstalter des wissenschaftlichen Symposiums waren die Stiftungen Entwicklung und Frieden, die Deutsche Kommission Justitia et Pax und die Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche Deutschlands.

Die Veranstaltung wurde eröffnet mit Referaten von Egon Bahr (Kuratoriumsmitglied der SEF), Prälat Paul Bocklet (Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe) und Bischof Rolf Koppe (Vizepräsident des Kirchenamts der EKD).

Egon Bahr hob die konstruktiven Diskussionsmöglichkeiten angesichts der Anwesenheit ahlreicher afrikanischer Konferenz-teilnehmer hervor, sei doch Europa jahrzehntelang auf eine bipolare Welt fixiert gewesen und habe das „Recht auf Irrtum“ überreichlich in Anspruch genommen. Er erinnerte an den Report der Unabhängigen Brandt-Kommission und zitierte diesen: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Die Garantie der Abwesenheit von Krieg sei letztendlich wichtiger als die Frage nach Entwicklungswegen und inneren Strukturen. Ohne Gewaltverzicht aller Beteiligten, unter denen auch alle Minderheiten jeder Seite gleichberechtigt sein müssen, gebe es keine Stabilisierung, ohne Stabilisierung auch keine Ordnung. Er hob die wichtige Rolle der Kirchen bei der Erringung der Bereitschaft hervor, Haß abzubauen und durch Vernunft zu ersetzen. Die Bereitschaft zur Versöhnung könne allerdings nicht befohlen werden. Als besten Weg der Konfliktlösung sah Bahr regionale Zusammenschlüsse, auch nach dem südafrikanischen Modell, an.

Prälat Bocklet sprach von der tiefen Sorge der Konferenzeinberufer angesichts der wachsenden Spannungen in Ostafrika, deren Ursachen nachgegangen werden müsse, weshalb auch das Symposium versuchen solle, sich an Lösungen heranzutasten. Er verwies auf die tiefe soziale Ungerechtigkeit in Ostafrika und den Ausschluß großer Menschengruppen von jeglicher Entwick-lung. Dies müsse ein Signal an Gesellschaft und Politik sein, die Spaltung der Gesellschaft in eine reiche Minderheit und eine arme Mehrheit zu bekämpfen und zu überwinden, auch wenn diese Differenzierung oft ethnisch begründet werde. Man müsse endlich an die wahren Fluchtursachen heran. Dabei hob er den noch relativ jungen OAU-Mechanismus hervor. In Rwanda seien auch Kirchen Ziel von Zerstörung und von Vernichtung von Menschen gewesen. Schutz dieser Menschen betrachte er als wichtigste Form kirchlicher Verantwortung. Dabei könne humanitäre Hilfe und ähnliches allerdings nicht Politik ersetzen.

An die Medienberichterstatter richtete er den Appell zur Objektivität.

Bischof Koppe hob besonders das konfliktschlichtende Potential der Kirche hervor. Sogenannte Kriege von Religionen seien in der Geschichte immer Kriege gegen die Religion gewesen.

Dabei seien die Kirchen auf den Dialog angewiesen, sonst würden sie Gefahr laufen, zwischen die Fronten zu geraten. Nicht der Sieg, sondern der Kompromiß helfe beiden Seiten voran. Besonders Kirchen und Nichtregierungsorganisationen hätten sich oft um den Frieden verdient gemacht, worauf sie sich jedoch nicht ausruhen dürften. Er forderte eine bessere Integration aller positiv wirkenden Kräfte und ging dabei besonders auf die Rolle der UNO ein. Auch das Graswurzelwissen der Kirchen müsse noch besser eingebracht werden.

In der Regel sei es besser, einen Teil der letztendlich aufgewandten hohen finanziellen und materiellen Mittel vorher, also im Vorfeld von Konflikten für Lösungen einzusetzen. Er unterstrich die Forderung der Kirchen nach strikter Abrüstung und nach Einschränkung der Rüstungsexporte, besonders bei Landminen.

Das Symposium beschäftigte sich in sechs großen Komplexen mit der Entwicklung in Rwanda, Burundi, Kongo-Zaire, Uganda und Kenia, wo Krisen und gewaltsame Konflikte in den vergangenen Jahren die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt haben. Ostafrika und die Region der Großen Seen wurden in dieser Zeitperiode mit Krieg, Völkermord, humanitären Katastrophen und zunehmen-der Alltagsgewalt identifiziert. Angesicht der Tatsache, daß viele regionale Akteure überfordert seien oder sogar politische Friedensbemühungen hintertreiben, die externen Mächte ihre jeweiligen eigenen Interessen verfolgen, internationale Vermittlungen verspätet einsetzten und im Prinzip scheiterten und auch die Rolle der Kirchen nicht durchweg positiv zu bewerten sei, müsse die zentrale Frage lauten: Wie kann die Region eine Entwicklungsperspektive einschließlich demokratischer Grundstrukturen gewinnen?

Hervorragende Spezialisten gaben jeweils mit Referaten und Kommentaren die Grundlage für eine fruchtbringende Diskussion zu den sechs thematischen Komplexen.


I Krisenherd Ostafrika: Regionale Ursachen und globale Zusammenhänge


Dazu referierten Makumi Mwagiru, Institute of Diplomacy and International Studies, Nairobi; Rainer Tetzlaff, Fachbereich Politische Wissenschaft der Universität Hamburg; Angelika Spelten, Entwicklungspolitische Gutachterin aus Bonn; Ramesh Jaura, Vorsitzender des Global Cooperation Council Bonn.

In der Diskussion wurde sichtbar, daß Gewaltverzicht á la Europa zwar nutzbar sein könne, aber nicht automatisch zu Frieden in der ostafrikanischen Region führe. Die Ostafrika-Konflikte sind sämtlich miteinander verbunden und haben spezifische Konflikteigenheiten, die darin bestehen, daß es sich um sehr verzwickte Konflikte mit hoher Gewalttätigkeit handelt (Rwanda, Burundi, Uganda), die teilweise durch innere Konflikte flankiert werden (wie z.B. in Kenia, wo der Verfassungstext nicht mehr den gesellschaftlichen Erfordernissen entspricht) und wo alle scheinbar internen Konflikte längst internationalisiert wurden. Somit sei Konfliktmanagement über die Grenzen hinaus notwendig. Dabei wurde hervorgehoben, daß der sich einmischende Norden häufig viel stärker als Faktor der Eskalation denn als Beitrag zur Konflikteindämmung in Erscheinung tritt. Auch die internatio-nale Zivilgesellschaft komme nicht ausreichend zum Wirken. Haupthindernisse bei der Konflikteindämmung in Ostafrika

seien die mangelnde Dialogbereitschaft, die Beschäftigung mit peripheren Erscheinungen anstatt mit den wirklichen Ursachen und die nur halbherzig von außen betriebene Lösung.


II Die Kirchen und Konflikte: Erfahrungen und Fallbeispiele


Dazu referierten Christoph Klitsch-Ott, Referent für die Region der Großen Seen der CARITAS Deutschland, Freiburg; Amani Mwenegoha, Generalsekretär der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania; Bethuel Kiplagat, Berater für Friedensfragen der All African Conference of Churches; Lothar Brock, Vorsitzender der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst.

In diesem Komplex wurde heftig gestritten um die Rolle der Gotteshäuser als „verlorene Zuflucht“ und das Wirken der Christen im Konflikt in Burundi generell. Dabei wurde starke Kritik an der Kirche geübt, die in Burundi kaum Widerstand gegen das Morden in den 70er Jahren geleistet habe und z. T. in die Mordorgien der 90er Jahre verwickelt war. Sichtbar wurde, daß die Kirche in Burundi Spiegelbild der Gesellschaft ist, deshalb einerseits eine große positive Rolle spielen könne, andererseits jedoch viele Fehler gemacht habe und sich mit der Vergangenheitsbewältigung ausgesprochen schwertut.


III Das Potential der Kirchen als staatenübergreifende Akteure: Konsequenzen und

Handlungsmöglichkeiten für die regionale Konfliktbearbeitung


Dazu hörten die Teilnehmer Referate von Rev. José Chipenda von der All African Conference of Churches; Wolfgang Heinrich, Arbeitsstelle Frieden und Konfliktbearbeitung in Afrika der AGKED Bonn; Jürgen Nikolai, Leiter der Afrika-Abteilung von MISEREOR Aachen; Thomas Hoppe, Moderator für den Sachbereich Frieden der Deutschen Kommission Justitia

et Pax.

Besonders Chipenda forderte, Demokratie für die Bedingungen in Afrika anwendbar zu machen. Nikolai hob hervor, daß die Kirche in Ostafrika ihren großen Einfluß nicht ausreichend nutze. Sie müsse besser konfliktvorbeugend wirken, eine kritische Distanz zu allen Partnern einnehmen und kritischen Fragen nicht ausweichen. Kirche sei wegen ihrer hierarchischen Strukturen nur bedingt als Motor für Demokratisierung geeignet. Man dürfe nicht annehmen, Entwicklung sei nur ein anderes Wort für Frieden. Vereinzelt wurde konstatiert, daß die Krise ohne externe Intervention nicht existent sei.


IV Die traditionelle Diplomatie in der Sackgasse? Die Lernfähigkeit internationaler Vermittler am Beispiel der Region der Großen Seen


Referenten waren Chris Bakwesegha, Stellvertretender Direktor der Ständigen Vertretungder OAU bei der UNO; Barnett R. Rubin, Council on Foreign Relations des Center for Preventive Action; Sabine Kurtenbach vom Institut für Iberoamerika-Kunde Hamburg; Brigitte Erler vom Burundi-Büro Bonn; Walther Michler, Publizist und Journalist.

Zu einer intensiven Diskussion kam es über Wirkungsweise und -bedingungen des OAUMechanismus. Gefordert wurden die angemessene Intervention zum rechtzeitigen Zeitpunkt, die gründliche Ursacheneinschätzung, das entschiedene Engagement für Demokratisierungsbestrebungen, politische Verhandlungen als bestes Mittel und das aktive Eintreten für eine bessere Bürgergesellschaft und die Garantie der Menschenrechte. Interessante diesbezügliche Erfahrungen wurden aus dem lateinamerikanischen bzw. dem mittelamerikanischen Raum vermittelt. Da gegenseitige Vorwürfe der  Menschenrechts-verletzungen inzwischen auch in Ostafrika zum Ritual gehören, laute die Forderung des Tages „Es muß alles von beiden Seiten

auf den Tisch!“ Die in Ostafrika massenhaft auftretenden „Vermittlungsdelegationen“ aller Art würden der Sache nur schaden.


V Ostafrikapolitik jenseits der Nothilfe? Strategien der deutschen Politik zur Förderung

innerregionaler Kooperation


Es referierten Peter Meyns von der Universität-Gesamthochschule Duisburg; Uwe Schramm, Leiter des Referats Ostafrika/Zaire-Kongo des Auswärtigen Amtes; Uschi Eid, Stellvertretende Vorsitzende des AWZ; Anke Poenicke, Stellvertretende Vorsitzende der Initiative Pro Afrika.

Die Referenten forderten, daß sowohl mit den regionalen Akteuren als auch mit den USA, Frankreich u.a. Ländern Gespräche gesichert werden und Einfluß auf diese genommen wird, wobei die diplomatische Einflußnahme auch auf anderen Gebieten ergänzt werden müsse.

Nicht ohne Sorge wurde vom Niedergang der französischen Afrika-Politik und der Rückkehr der USA in den Konfliktraum gesprochen. Mehrere Redner betonten, daß die BRD über keine (Ost-)Afrika-Politik verfüge.

Verwiesen wurde auf eine Reihe neuer Phänomene wie die Entstehung neuer afrikanischer Regionalansprüche/Regionalmächte, die ihre Bestrebungen teilweise auch gewaltsam durchzusetzen versuchen (Nigeria, Südafrika, Uganda-Rwanda u.a.); die Zunahme der kriegerischen Beseitigung von ungenehmen Nachbarregimen; die Verrohung der Kriegführung und die volle „Einbeziehung“ der Zivilbevölkerung sowie ungesühnte Massenverbrechen.

Als gefährliche Tendenz wurde die immer größere Ausweitung des Handelns von MINGOS (Military NGOs) á la Outcome angesehen.


VI Mehr Gerechtigkeit und Frieden in Ostafrika - längerfristige Handlungsoptionen von Kirchen und Politik


Zu dieser Thematik fand eine zusammenfassende öffentliche Podiumsdiskussion statt, an der neben Bakwesegha, Chipenda, Brock, Hoppe und Koppe auch die Bundestagsabgeordneten Anneliese Augustin und Werner Schuster (beide Mitglied des AWZ) teilnahmen. Dazu waren auch Berliner entwicklungspolitische NRO eingeladen.