Prof. Dr. habil. Walter Hundt

 

„Entwicklungspolitik“ zum Jubiläumband für Prof. Dr. Claus Montag (70. Geburtstag 2003)


Die Beziehungen der DDR zu den antikolonial-nationalen Befreiungsbewegungen und ihre Außenpolitik gegenüber den Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas waren fester Bestandteil der ostdeutschen Gesamtaußenpolitik, wenngleich es in deren Rahmen differenzierte Prioritäten gab. SED-Parteitagsbeschlüsse und Regierungsdokumente proklamierten permanent „die sich ständig vertiefenden antiimperialistischen Bündnisbeziehungen mit den um ihre nationale und soziale Befreiung kämpfenden Völkern und die Erweiterung der engen Zusammenarbeit mit den national befreiten Staaten Asiens und Afrikas sowie den Ländern Lateinamerikas“ (Siehe: Außenpolitik der DDR, Berlin 1979, S. 225). Dabei berief sich die DDR „auf das Erbe der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung“. Solidarität und solidarische Unterstützung spielten im gesellschaftlichen Leben auf vielen Gebieten eine lautstark verkündete und in vielerlei Hinsicht auch meßbar praktizierte Rolle, zu der neben zahlreichen - heute vielfach übersehenen und zum Teil bewußt negierten - positiven Aspekten aus jetziger Sicht naturgemäß auch manch Kritisches anzumerken ist.

Für mich, wie für eine ganze Reihe meiner damaligen Arbeitskollegen, war die tatkräftige Beschäftigung mit den sich in der Dritten Welt vollziehenden politischen, sozialen, ökonomischen, kulturellen und anderen Prozessen über mehrere Jahrzehnte hin in Lehre und Forschung sowie in der diplomatischen und artverwandten Praxis in Entwicklungsländern berufliche Lebensaufgabe geworden, die hochinteressant war, die man persönlich liebgewonnen hatte und in der wir die Gewißheit hatten, ein Scherflein zur praktischen Lösung der in diesem Teil der Welt anstehenden Probleme (die leider im Grundsatz nach wie vor ihrer Lösung harren) beizutragen.

Mit der sogenannten Wende stand ein jeder von uns vor dem Erfordernis eines persönlichen Resümees, das über die außenpolitische Analyse hinauszugehen hatte, noch dazu, wenn man entschlossen war, an der gleichen weltpolitischen Flanke nach Möglichkeit - wenn auch unter grundlegend veränderten Rahmenbedingungen - irgendwie weiter tätig zu sein. Und dies eben gerade wegen der in der Dritten Welt weiterhin ungelösten Grundfragen, im Kleinen wie im Großen.   

  

Aus: Kritische Bestandsaufnahme und Neuorientierung . In: Brandenburgische Entwicklungs-politische Hefte, Heft 39/40, Jg. 2001


. . . Von Anfang an stand für mich und für unser im Juli 1991 im wesentlichen aus außenpolitisch erfahrenen Kollegen gebildetes Team „Brandenburg in der Dritten Welt“ an der Universität Potsdam (das spätere Brandenburgische Entwicklungspolitische Institut) fest, daß nichts so weitergehen konnte wie vorher. Eine Neuorientierung war unumgänglich, bei der aber eine Bestandsaufnahme der Vergangenheit – wie ich meinte – ausgesprochen nützlich seien konnte. Zu diesem Zeitpunkt lagen weit über 30 Jahre der Beschäftigung mit der Dritten Welt hinter mir, anfangs im Bildungswesen, später professionell an entwicklungspolitischen Hochschuleinrichtungen. Ich wußte also politisch-inhaltlich, wovon ich sprach, aber  das politische (und wissenschaftliche) in der Bundesrepublik gewachsene Umfeld ahnte ich nur, und dennoch war es dann zum Teil ganz anders. Lange Zeit war mein Leben geprägt vom echten Glauben an eine sozialistische Gesellschaft mit sozialer Gerechtigkeit, die entwicklungspolitische Überlegungen umfassend einschloß. Daraus hatten  Engagement und Einsatzbereitschaft resultiert. So bedeutete also die Abwicklung auch keinen grundsätzlichen Bruch mit den entwicklungspolitischen Grundüberzeugungen . . .

Der Prozeß der persönlichen Bestandsaufnahme und des kritischen Durchleuchtens unserer damals in der DDR noch nicht so genannten Entwicklungspolitik hatte schon lange vor Beginn des Projekts „Brandenburg in der Dritten Welt“ begonnen und hielt natürlich in dieser Zeit weiter an. Längst war klar, daß wir in der DDR Illusionen bei uns genährt hatten und Illusionen in den Entwicklungsländern bezüglich unserer Möglichkeiten der Unterstützung und Kooperation geweckt hatten. Eine (zum Teil weitgehende) Konzeptlosigkeit in gewissen Zeiten und im Zusammenhang mit bestimmten entwicklungspolitischen Fragen war uns natürlich nicht verborgen geblieben. Als Insider kannte jeder von uns die Leiden des „Mittagismus“ der allgewaltigen Entwicklungsländer-Kommission,  die über Jahre Entwicklungspolitik zum Gegenstand willkürlicher, öffentlich nicht nachvollziehbarer Entscheidungen machte. Nicht selten wurden einsame Entschlüsse „großer Männer“  zum Leitfaden für unsere Arbeit gemacht, z.B. bei der Deklaration von Prestigeprojekten, der Festlegung von „Schwerpunktländern“ entsprechend dem Reiseplan Erich Honeckers u.a.m. Jeder von uns hatte besonders in der letzten Zeit das Gefühl, daß die Vermischung von staatlicher Außenpolitik und Solidaritätsbewegung auf Dauer nicht aufgehen konnte. Das alte DDR-Prinzip „Nur ja keinem in der Dritten Welt wehtun“ mit Konsequenzen für die praktische Außenpolitik und die außenpolitisch-entwicklungspolitische Wissenschaft hatte zum Teil unerträgliche Folgen. Jeder, der in dieser Zeit publizieren wollte und publizieren mußte, hat da massenhaft eigene Erfahrungen! Einer gewollten Enge auf entwicklungspolitischem Gebiet standen dennoch auch Ungezählte mit persönlichem großen Engagement gegenüber, die sich auch durch von Subjektivismus geprägte Prioritäten und Fehlprognosen nicht abschrecken ließen. Usus geworden war von einem bestimmten Zeitpunkt an eine Klientelpolitik gegenüber Entwicklungsländern mit zum Teil hohen Kosten und hohem politischen Gefährlichkeitsgrad. Antiamerikanische Losungen genügten oft für die Einstufung als unterstützungswürdiges Land unter völliger Außerachtlassung innenpolitischer Realitäten. Dabei war nur ein schlechter Trost, daß offenbar die westlichen Staaten den gleichen Fehler begingen.

Mit Enge, Gängelei und Dirigismus sowie Behinderung besonders in wissenschaftlicher Hinsicht sollte nunmehr Schluß sein. Daß viele unserer jungen Menschen mit solchen entwicklungspolitischen Praktiken längst gebrochen hatten – in der Regel natürlich, ohne das öffentlich zu bekunden – wurde mir auf der Gründungsversammlung der Deutsch-Asiatischen Gesellschaft am 23.02.1991 klar, für deren Präsidentschaft ich gebeten worden war zu kandidieren. Die Vollversammlung konfrontierte uns mit jungen ungestümen Kritikern, in vielen Fragen im Recht, in vielen anderen übers Ziel hinaus schießend. Mir wurde klar: sie wollten den Bruch. Mit meinem Vorschlag, zwei verdienstvolle Experten auf diesem Gebiet für die Leitung der neuen Gesellschaft zu gewinnen, konnte ich mich nicht durchsetzen. Der Verlauf der Versammlung brachte mich zum persönlichen Entschluß, für die vorgesehene Funktion nicht zur Verfügung zu stehen, entgegen allen Abmachungen und vorherigen Zusagen meinerseits. Ich glaube, alle meine Freunde haben mich damals verstanden.

Aber da waren auf der anderen Seite viele Positiva, die ungeachtet der kritischen Bilanz der DDR-Entwicklungspolitik auch nicht vom Tisch zu wischen waren. Ich denke an die Aufgeschlossenheit und ein reales breites Interesse an der Dritten Welt, die ein bestimmtes von echter Solidarität geprägtes Verhalten bei unseren Menschen erzeugten. Unsinn die These, das sei alles befohlen und kommandiert worden. Hervorragende Politiker aus Entwicklungsländern wie Mandela, Nujoma oder Nyerere haben eine sehr klare Wertschätzung dieser Seite der Erziehung in der DDR vorgenommen, die, wenn man so will, bereits im Kindergarten begann und in die großen Komplexe Solidarität und Internationalismus eingebettet war. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit war in der DDR natürlich im wesentlichen Bildungsarbeit über die Dritte Welt, ein Mangel, den wir im übrigen auch heute noch nicht losgeworden sind. Andererseits ist festzustellen, daß ein solches positives Verhalten natürlich nicht „Herzenssache des ganzen Volkes“ war, wie das in den Parteidokumenten oft formuliert wurde. Eine ausgewogene Bilanz durfte allerdings auch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Entwicklungszusammenarbeit der DDR durchaus „vorzeigewürdige Leistungen“ hervorgebracht hatte, wie dies der Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit der demokratisch gewählten letzten DDR-Regierung, Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling, im Juli 1990 gewürdigt hatte. Die DDR war eben, wie das viele afro-asiatische Freunde besonders in den letzten Jahren hervorhoben, ein kleiner, leistungsfähiger, antiimperialistischer Staat und Partner, allerdings keineswegs frei von Problemen.

Bei der persönlichen Bestandsaufnahme spielte – das muß ich ehrlich eingestehen – in ganz entscheidendem Maße das Gefühl eine große Rolle, auch vor der Wende eine gute und nutzbringende Tätigkeit verrichtet zu haben, eine Auffassung, die mir kurz danach erstaunlicherweise völlig unaufgefordert zwei sehr unterschiedliche Vertreter des gesellschaftlichen Lebens im Land Brandenburg bestätigten: nämlich Universitätsrektor Prof. Dr. Mitzner und der Vorsitzende des SPD-Landesverbandes Steffen Reiche. Ich will nicht verhehlen, daß mir solche Einschätzungen in dieser komplizierten Situation einen gewissen Auftrieb verliehen. So gehörte ich weder zu den euphorischen Nostalgikern, für die selbstkritische Betrachtung – selbst in Grenzen – ein Fremdwort war, noch zu jenen, für die offenbar eine „Pflicht“ zur allumfassenden Kritik um jeden Preis und in jeder Hinsicht bestand. Für mich stand fest, daß eine  künftige Tätigkeit, sollte sie sich realisieren lassen, sich in vieler Hinsicht mehr oder weniger unter Berücksichtigung des gesamtgesellschaftlichen Rahmenumbruchs direkt an frühere Intensionen der langjährigen Beschäftigung mit Fragen der Dritten Welt und der nationalen Befreiungsbewegung der Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas anschließen würde. Die Entwicklungsländer, ein Begriff der für uns erst „freigegeben“ wurde, nachdem Breshnew  ihn zum erstenmal auf dem XXIV. Parteitag der KPdSU 1971 gebraucht hatte(!), waren „meine Welt“ geworden, darunter auch das, was wir heute Entwicklungszusammenarbeit nennen. Es galt also von vornherein, ein richtiges Verhältnis anzustreben zwischen der Würdigung von DDR-Leistungen und einer berechtigten und notwendigen Kritik an ostdeutscher Entwicklungspolitik, was nicht zu deren generellen Infragestellung führen durfte, wie das in vielen westdeutschen Publikationen, zunehmend aber auch in einzelnen ostdeutschen zunächst geschah. Heute hat sich überall bei meinen politischen und wissenschaftlichen Freunden in ganz Deutschland nahezu die Auffassung von der Notwendigkeit einer relativierten objektiven Bewertung dieser Zeit durchgesetzt.

            

Ein gutes Beispiel für die Weiterentwicklung der kritisch-konstruktiven Analyse der DDR-Politik gegenüber den Staaten und Völkern der Dritten Welt war die Ende der neunziger Jahre einsetzende Auseinandersetzung zwischen einstmals „ staatlich positionierten“ Entwicklungspolitikern und Wissenschaftlern und solchen aus dem bereits lange vor der Wende  „DDR-kritischen“ Lager, die ganz offensichtlich beiden Seiten spürbar nutzte und an der ich aktiv teilnehmen konnte.

   

Aus: Rezension zu Hans-Joachim Döring, „Es geht um unsere Existenz“ - Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien. In: WeltTrends, Heft 28, Jg. 2000


Die von Hans-Joachim Döring vorgelegte Studie muß künftig von jedem zur Kenntnis genommen werden, der sich mit Forschungen zu dieser Thematik beschäftigt oder ganz einfach an der Wahrheit interessiert ist . . . Das interessante Buch hilft zweifelsohne, eine noch immer vorhandene Lücke zu schließen. Der Leser wird es mit Spannung von der ersten bis zur letzten Seite lesen. Erschwert wird allerdings das Verständnis durch eine an manchen Stellen schwer zu verstehende, „komplizierte“ Systematik. Themen werden aufgenommen, die nur sehr mittelbar mit dem Gegenstand zu tun haben. Oft - sehr oft - wirken urplötzliche Verbindungen zwischen (afrikanischen) Fakten und „Existenzkrisen“ der DDR, Ausreiseanträgen von DDR-Bürgern und Erscheinungen des Vertrauensschwunds in der DDR als ausgesprochen aufgepfropft. Ein Teil der Fakten führt zu Verwirrung, da viele von ihnen an den betreffenden Stellen für den Leser keinen direkten Bezug zu den behandelten Ereignissen erkennen lassen. Bedauerlich ist die zeitliche Beschränkung auf die Jahre 1977/78 und die regionale Begrenzung auf Mosambik und Äthiopien. Dem Autor ist dies offensichtlich auch bewußt. Vielleicht kann der vorliegende Band Ausgangspunkt für eine umfassendere Untersuchung sein.

Der Rezensent, der Dörings entwicklungspolitischen Werdegang vor und nach der Wende relativ gut kennt, möchte ihm das an vielen Stellen des Buches deutlich werdende ernsthafte Bemühen um eine objektive Darstellung der komplizierten Problematik ausdrücklich bescheinigen. Döring leitet mit einem realistischen Vorwort ein, frei von der „Pflicht zur Kritik um jeden Preis“, wie sie vielfach üblich geworden ist. Damit wird er seiner Verantwortung als einer der wenigen Ost-Autoren zu dieser Thematik gerecht. Dieses Bemühen zieht sich bis zum Ende des Buches durch. Auf Abweichungen wird noch eingegangen. Grenzen der Objektivität tauchen dort auf, wo der Autor sich zu einer unzulässigen Verabsolutierung verleiten läßt. Objektivität setzt Auseinandersetzung mit für „Betroffene“ oder auch für den Autor unbequemen Fragen voraus; ja schließt sie sogar ein. Der Autor findet in der Regel richtige Proportionen zwischen gerechter Würdigung von DDR-Leistungen und berechtigter Kritik an ostdeutscher Entwicklungspolitik, wobei letztere vielfach bei ihm zu deren generellen Infragestellung führt - nach Meinung des Rezensenten nicht immer voll gerechtfertigt und vielfach überzogen. Es ist zu begrüßen, daß Döring auf wenig bekannte, nicht zu entschuldigende Verhaltenspraktiken der DDR ausführlich eingeht (z.B. S. 179ff.: „mehrjähriger Werdegang“ einer Stolpe-Reise nach Mosambik und Devisenforderungen an die Kirche in dem Zusammenhang). Politisch bzw. entwicklungspolitisch untragbares oder zumindest kritikwürdiges Verhalten einzelner DDR-Bürger sollte nicht zum Typischen stilisiert werden, was leicht zur Verwischung positiver Elemente des Anliegens führen kann. Ähnliche bzw. schlimmere Erscheinungsformen bei „erfahrenen“ westdeutschen Entwicklungshelfern sind dem Rezensenten und vielen seiner Freunde en masse bekannt, was keinesfalls der Entschuldigung dienen soll. Beweis für das Bemühen um Objektivität ist auch die auf S. 253ff. dargelegte Entschuldungs-Sicht, die zum Teil argumentativ durchaus neu und überzeugend ist.

Dem Rezensenten wurde seine Meinungsbildung erleichtert durch eine fast 45jährige Beschäftigung mit Problemen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas bis zu seiner Pensionierung 1999, davon mehrere Jahrzehnte in wissenschaftlich-entwicklungspolitischen „Insider-Instituten“ und mehr oder weniger zufällig auch einige Zeit in Stäben der Luftstreitkräfte der DDR, denen die von Döring erwähnte „Äthiopien-Staffel“ unterstand. Wenngleich diese wissenschaftliche und praktische Tätigkeit in der DDR sich nicht gerade durch überdurchschnittliche Möglichkeiten der politischen Einflußnahme auszeichnete, so erlaubte sie doch einen tieferen Einblick, als er ansonsten aus der Tagespresse zu gewinnen war. Erwähnt wird dies hier, um als Prämisse in den Raum zu stellen, daß der Rezensent relativ zeitig frei von Illusionen hinsichtlich der Möglichkeiten einer Entwicklungspolitik der DDR war. Viele Kollegen waren dennoch mit Herzen und mit ganzer Kraft dabei, brachten schier unbegrenzten Idealismus und ein Übermaß an ehrlichem, solidarischem Empfinden ein. Ich erinnere mich sehr genau an den verbalen Widerstand, den es in unseren Kreisen gab, als zu einem bestimmten Zeitpunkt die These in den Vordergrund rückte, daß DDR-Interessen im Umgang mit Entwicklungsländern auf „Rang 1“ ständen. Aus solchen Gründen wirken manche Feststellungen von Hans-Joachim Döring - obwohl ganz sicher nicht beabsichtigt - tendenziell beleidigend oder zumindest verletzend, wenn alle zu kleinen Schalck-Golodkowskis gemacht werden. Laut „Neues Deutschland“ (20.04.2000) soll der ehemalige stellvertretende Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen des ZK der SED Friedel Trappen das vorliegende Buch als „ein ideologiefreies Buch“ bezeichnet haben. Beim Rezensenten taucht da die Frage auf, ob Trappen mit seinem seinerzeitigen Überblick tatsächlich eine solche Einschätzung getroffen hat, vor allem aber, ob es auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit überhaupt „Ideologiefreiheit“ geben kann. Döring führt eine solche Auffassung zu Recht selbst ad absurdum. Die Feststellung, bei der er sich auf Trappen beruft, daß die ZK-Abteilung Internationale Verbindungen „keinen Einfluß“ gehabt habe, muß entweder auf einem Mißverständnis des Autors oder aber auf bewußter Tiefstapelei und „Erinnerungslücken“ eines Verantwortlichen für ein konkretes Gebiet auf hoher Ebene beruhen. Jeder Wissenschaftler, der damals Umgang mit der Abteilung IV hatte (bzw. diese mit ihm), könnte dies widerlegen.

Besonders hoch einzuschätzen sind die Aktivitäten des Autors zur Erschließung der einschlägigen Archive und seine Gespräche mit damaligen Spitzenpolitikern (Schürer, Albrecht, Trappen). Was die umfassende Literaturliste betrifft, so verwundert aber, daß irrelevante, veraltete und zum Teil sehr unseriöse Titel aufgenommen, aber aktuelle westdeutsche sowie frühere und heutige ostdeutsche Titel außer acht gelassen wurden. Einer oft einseitig erscheinenden Literaturanlehnung (z. B. Brüne, Äthiopien) steht hier und da auch der Trend gegenüber, anders orientierte westliche Wertungen unbeachtet zu lassen. Als durchaus unüblich muß das Zitieren von Grundsatzdokumenten nach Sekundärquellen angesehen werden. Fehler bei der Zuordnung von Namen an Institutionen sollten bei künftigen Auflagen bereinigt werden (z. B. erscheint der Autor E. Kaschel in der Literaturliste mit dem gleichen Artikel auch als E. Koschel; Dissertationen, die an der Juristischen Hochschule Potsdam-Golm [Hochschule des MfS] verteidigt wurden - z.B. die von Massula u. a. oder von Tschetschorke u. a. - werden fälschlicherweise mit „Potsdam-Babelsberg“ ausgewiesen, was zu einer völlig anderen akademischen Einrichtung, nämlich dem Institut für Internationale Beziehungen, hinführen könnte).

Der Eindruck einer gewissen Einseitigkeit entsteht durch Übertreibungen an einigen Stellen. So unterstellt Döring auf S. 271 der DDR eine „Mutterlandsmentalität“, bezeichnet auf  S. 266 Mosambik als „Ersatzkolonie“ der DDR und spricht von „Territorialgewinnen“ der DDR in Afrika. Zweifelsohne hat das wiederum Rezensenten verschiedener Zeitungen ermutigt, sehr „eigenartige“ Formulierungen in ihren Besprechungen zu gebrauchen. So schreibt C. Kuhn in der Potsdamer „Märkischen Allgemeinen“ (01./02.07.2000) über „Das Märchen von der Solidarität“, indem er zu merkwürdigen Verknappungen und Verabsolutierungen eigenartigen Charakters kommt. T. Ruttig vergleicht im „Neuen Deutschland“ (20.04.2000) den Golfkrieg der USA mit der Entwicklungspolitik der DDR, wobei erstere nach der Devise „Blut für Öl“ gehandelt hätten, die DDR dagegen alle Konsequenzen einer Devise „Blut für Kaffee“ in Kauf genommen habe.

Ungeachtet der eingangs hervorgehobenen Objektivität übertreibt Döring durchaus kritikwürdige Zustände manchmal so, als wäre er selbst nie mit den Zwängen der Afrika-Politik der DDR persönlich konfrontiert worden. Glücklicherweise relativiert das dem Band beigefügte Interview mit dem ehemaligen DDR-Botschafter Prof. Dr. Helmut Mathes die notwendigen Passagen und stellt richtige Proportionen her. Zu hoffen ist, daß der Leser diesen Text in den Zusammenhang des Buches einordnet. An verschiedenen Stellen treten offensichtlich auch Faktenfalschbewertungen bzw. -überhöhungen auf. So gibt es über die Ereignisse im äthiopischen Koordinierungskomitee der Streitkräfte, der Polizei und der Territorialarmeen (DERG) am 03.02.1977 (S. 108: „bewaffnete Diskussion“) durchaus auch andere Darstellungen von Augenzeugen als die von Döring bevorzugte Version von Brüne. Die Darstellung der „Verschiebung der bipolaren Mitte an den Rand, nach Afrika“ durch die sozialistischen europäischen Staaten als eine Ursache „für die heute noch vorhandenen außergewöhnlich großen Entwicklungsrückstände der ehemals mit osteuropäischen Staaten herausragend befreundeten afrikanischen Länder“ (S. 29) ist zumindest fragwürdig, wenn man den Blick auf Länder wie Côte d’Ivoire, Liberia, Sierra Leone und andere wirft, die keineswegs Partnerstaaten des Sozialismus waren. Etwas voluntaristisch erscheint die Betrachtungsweise, die militärischen Aktionen während der äthiopischen Revolution seien die Ursache der Hungersnöte gewesen (S. 113f.), traten doch diese auch schon zu Kaisers Zeiten auf und belasten noch immer das heutige Äthiopien. Feststellungen, daß die DDR durch die „internationale Öffentlichkeit“ oder durch die „Weltöffentlichkeit“ vor 1973 nicht anerkannt worden sei (S. 21), würden durch eine Präzisierung dergestalt gewinnen, daß die Verweigerung der Legitimation durch die westlichen Staaten und von ihnen unter Druck gesetzte Länder praktiziert wurde, die internationale Öffentlichkeit jedoch vielfach längst realistischer reagiert hatte.

Wie ein roter Faden zieht sich durch die Studie die Frage der Zahlungsbilanz der DDR, ihrer Devisen und der vom Autor immer wieder angenommenen Zahlungsunfähigkeit. Hier entsteht für den Leser der Eindruck, daß sich Döring an bestimmten Auffassungen festgebissen hat, die so einfach nicht zutreffen. Faktisch befand sich die DDR fast ständig in einer Devisenkrise. Devisen waren immer knapp! Allerdings waren die kommerziellen Beziehungen mit Entwicklungsländern nur ein Element dieser Problematik, keinesfalls das einzige und auch nicht das wichtigste. Ansonsten hätte das Scheitern der DDR in Mosambik und Äthiopien auch das Ende des Staates bedeuten müssen. Es ist ja übrigens nicht unbekannt, daß Staaten wegen Zahlungsunfähigkeit keinesfalls automatisch aufhören zu existieren. Dies führt auch zu solchen nicht völlig richtigen Auffassungen, daß die DDR erst wegen einer 1977 sichtbaren „Zahlungsunfähigkeit“ intensive Beziehungen zu afrikanischen Staaten mittels einer Exportoffensive aufgenommen habe (S. 11). Döring kritisiert, daß die DDR „erst 1977“ überhaupt Beziehungen zu den von ihm behandelten Staaten geknüpft habe, er läßt dabei aber außer acht, daß zwischen der Unabhängigkeit und dem Sommer 1977 eine keineswegs unnormale (und auch relativ kurze) Zeitspanne lag. Übrigens werden in Zusammenhang damit mehrfach aus Annahmen Tatsachen ohne Nachweis gemacht, z.B. mit der These, daß Vertragsarbeiter aus Mosambik von Anfang an lediglich dem Abbau des DDR-Außenhandelsüberschusses, also rein ökonomischen Zwecken dienten (S.233 f.). Ein anderes Beispiel ist seine Behauptung, daß die Tätigkeit des Solidaritätskomitees der DDR und der FDJ-Freundschaftsbrigaden keineswegs entwicklungspolitische Zielstellungen verfolgten, sondern nur auf die Exportförderung für die DDR gerichtet waren (S. 253ff.).

Sicher gibt es bei den militärischen Lieferungen der DDR eine Reihe kritischer Anmerkungen zu machen (z.B. gleichzeitige Lieferungen an Irak und Iran während des Krieges). Überall dort aber, wo nationale Befreiungsbewegungen oder junge Nationalstaaten durch die Lieferung von militärischen Gütern unterstützt wurden, so zu tun, als sei die DDR hier das einzige Land weltweit gewesen, nicht aber etwa auch in anderen Zusammenhängen die großen Demokratien dieser Welt, erscheint mir undialektisch. In DDR-Zeiten diente hier das „Klassenprinzip“ zur Erleichterung der Interpretation. Döring konstruiert auch einen direkten Zusammenhang zwischen der Heilbehandlung von Verwundeten aus afrikanischen Staaten und militärischen Lieferungen an deren Regierungen (S. 212). Dem Rezensenten ist kein solches Beispiel bekannt, allerdings viele ohne einen solchen Bezug. Den Aussagen von Friedel Trappen über die Lieferung von Waffen durch das Solidaritätskomitee stehen entgegengesetzte Aussagen verantwortlicher Funktionäre des DDR-Solidaritätskomitees gegenüber. Die Aktenlage bietet nach wie vor unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten, so daß die Diskussion zu dieser Frage nicht abgeschlossen sein kann. Aus Gesprächen, die der Rezensent mit Vertretern der afrikanischen Befreiungsorganisationen in den 70er Jahren führen konnte, ist ihm bekannt, daß unter den Rubriken „Militärisches“ und „Verteidigung“ auch Lieferungen von Sanitätsmaterial, Decken, Optik, Koppeln und Zeltbahnen und oftmals die Verwundetenversorgung verstanden wurde.

Immer wieder spricht Döring von einer angeblichen „ungeheuren Hektik der Afrikabeziehungen der DDR“, deren Verbindung mit bestimmten Fakten und Ereignissen etwas abstrus wirkt (z.B. S. 296). So wird der Absturz von Werner Lamberz in Libyen als Ausdruck der „Hektik der DDR-Politik“ dargestellt (S. 86). Überhaupt werden Streß und zeitliches Hetzen zur politikwissenschaftlichen Kategorie erhoben und zum Charakteristikum der DDR-Politik gegenüber Afrika gemacht. Nach meinen Erfahrungen waren schnelle Entscheidungen damals aber gerade die Ausnahme und wurden als viel zu seltenes Positivum aufgefaßt. Viel typischer war eine politisch-bürokratische Langatmigkeit, die in vielen Fällen ein Scheitern von Projekten bedingte. Noch schlimmere Auswirkungen hatte das auf dem Gebiet der Personalfragen, wo übersteigerte sicherheitspolitische Kriterien postuliert wurden.

Neuland hat Döring mit der Untersuchung der Tätigkeit der 1977 geschaffenen „Kommission für Entwicklungsländer“ („Mittag-Kommission“) beschritten. Die Geheimverträge der DDR mit Gaddafi (Drittlandabkommen DDR-Libyen-Entwicklungsländer), über die der Autor interessante Ausführungen macht und aus denen er Schlußfolgerungen ableitet, sind offenbar nach Kenntnis von Insidern nach wie vor nicht durch Dokumente belegbar. Wenn denn ein solches Abkommen zwischen Libyen und der DDR existiert haben sollte, so muß dies durchaus nicht - wie von Döring angedeutet - Ausdruck des Abenteuerlichen der Afrikapolitik der DDR gewesen sein, sondern kann in seiner „weltrevolutionären Konstruktion“ durchaus für afrikanische Führer etwas „Geniales“ enthalten haben. Anderenfalls könnte Döring hier Anstöße für weitere Forschungen geben. Im Zusammenhang mit der Schilderung der Rolle Schalck-Golodkowskis, über die Zeitzeugen und Schalck selbst recht widersprüchliche Aussagen machen, was entwicklungspolitische Aspekte betrifft, hat Döring bemerkenswerte Überlegungen angestellt. Dennoch besteht auch in dieser Frage die Gefahr der Überbewertung. Der Rezensent stellt hier fest, daß auch Leute, die entwicklungspolitisch jahrzehntelang in der DDR in Theorie und Praxis „am Ball waren“, kaum Kenntnis darüber hatten, wer Schalck war, ja vielfach nicht einmal seinen Namen kannten.

Großen Raum gibt der Verfasser dem Solidaritätsgedanken. Die Ausführungen sind deshalb interessant, da sie Ergebnis einer gründlichen Auseinandersetzung sind, die ihn in den letzten zehn Jahren und darüber hinaus beschäftigt hat. Während Döring den Stellenwert der Solidarität unter der Bevölkerung der DDR und auch in der DDR-Politik vielfach würdigt, negiert er sie wiederum an anderen Stellen völlig. Der Rezensent sieht dies nicht so. Ich gehe davon aus, daß Döring den Neokolonialismus als historischen Faktor sieht, der konkrete politische und ökonomische Zielstellungen verfolgt, die für die DDR-Politik gerade nicht charakteristisch waren und sein konnten. Bestimmte Formulierungen erwecken den Eindruck, als sei es einzig und allein Ziel der DDR gewesen, über möglichst hohe Auslandsschulden Abhängigkeiten zu schaffen. Formulierungen wie „mit dem auf der Leipziger Herbstmesse 1977 unterzeichneten ,Sofortprogramm‘ begann der Aufbau des Grundstockes für die Auslandsschulden Mosambiks gegenüber der DDR“ (S. 156) sind einfach unsachlich und unlogisch. An anderer Stelle wird der Eindruck erweckt, als sei es das Prinzip des DDR-Außenhandels gewesen, im eigenen Lande nicht absetzbare Produkte „draußen an den Mann zu bringen“. Der Leser wird hier an die berühmten Glasperlen und anderen Ramsch im Umgang mit den nordamerikanischen Indianern erinnert. Es ist zu verurteilen, wenn Partnerländer damit eigener Möglichkeiten beraubt werden und ungerechtfertigter Profit gemacht wird; und sicherlich hat es solche Praktiken im Außenhandel der DDR gegeben. Das Prinzip „GDR interests first“ stieß dennoch oft auf Ablehnung. Die von Döring studierten Akten machen den Widerspruch zwischen einem Teil der Ökonomen auf der einen Seite und Entwicklungspolitikern auf der anderen Seite sichtbar. Die Träger der eigentlichen Solidarität in der DDR waren für ein „schnelles Übergewicht des Eigeninteresses“ nicht zu haben. Insofern hält der Rezensent die These vom „frühen Verlust des Internationalismus seitens der DDR“ für überzogen, stimmt aber der Notwendigkeit einer harten kritischen Durchleuchtung zu. Was die Arbeit des Solidaritätskomitees der DDR im allgemeinen anbelangt, leistet Döring einen Beitrag zur in den letzten drei Jahren begonnenen Diskussion (S. 206ff.).

Dörings Arbeit gibt neue und interessante Denkanstöße. Dafür ist ihm zu danken. An vielen anderen wird es nun sein, aus den eigenen Erfahrungen zur weiteren Klärung der Sachverhalte beizutragen. Dazu fordert Döring direkt auf. An vielen Stellen wird aber noch ein ernsthafter Mangel der Studie sichtbar: Afrikanische Vertreter erhalten nicht die Gelegenheit, ihre Meinung darzulegen. Meine eigenen Erfahrungen von Aufenthalten in diesen Ländern nach der Wende zeigen, daß diese oft von denen jener Autoren abweichen, die hier und heute darüber schreiben.

                          

Auch in der Außenpolitik der neuen Bundesrepublik nehmen die Länder der Dritten Welt einen maßgeblichen Platz ein – manche meinen angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und angesichts der ungelösten fundamentalen Grundprobleme, daß dieser Platz zu wenig maßgeblich und zu wenig weltpolitisch angemessen sei. Politische Erklärungen und finanzielle Untermauerung zu deren Umsetzung klaffen in zunehmenden Maße auseinander. Die diesbezügliche prekäre Situation verschärft sich durch „Eskapaden“ im Stile des Irak-Krieges und seiner völkerrechtlichen Begleitumstände.

Große außen- und entwicklungspolitische Hoffnungen waren in den Wochen nach dem 11. September entstanden, als Bundespräsident Rau konstatierte, die Entwicklungsländer dürften nie wieder aus dem Blick verschwinden, wenn sich das Interesse der Weltöffentlichkeit wieder anderen Themen als der Terrorbekämpfung zuwendet. Bundeskanzler Schröder erklärte, dass die aktuelle weltpolitische Lage die Bedeutung einer nachhaltigen Entwicklungspolitik unterstreiche, die an der Idee der Einen Welt festhalte. Um ein Vielfaches deutlicher äußerte sich permanent die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wieczorek-Zeul in vielerlei Zusammenhängen und bei sehr unterschiedlichen Anlässen.

Viele der heute als neu deklarierten Probleme der deutschen Außenpolitik gegenüber den Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und der deutschen Entwicklungspolitik / Entwicklungszusammenarbeit sind auch „alte“ Probleme von gestern, die aber einer Lösung nur geringfügig nähergekommen sind. Die geballte Weisheit der Reden auf der Internationalen Konferenz zum 20. Jahrestag des „Brandt-Report“ im Februar 2000 muß endlich beherzigt werden. „Die Entwicklungspolitik muß sich im Zeitalter der Globalisierung neuen Herausforderungen stellen und sich von ausgetretenen Pfaden verabschieden“ (Siehe: Dirk Messner / Franz Nuscheler, Entwicklungspolitik und Globalisierung. In: Globale Trends 2002. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt/Main 2001, S. 400 ff.). Die Welt von morgen kann nur existieren, wenn Frieden, Freiheit und Stabilität gewährleistet sind, Hunger und Not sowie das krasse Wohlstandsgefälle beseitigt werden, Menschenrechte für alle gesichert sind und alle Menschen gemeinsame Überlebensinteressen haben, wie dies in vielen außenpolitischen Grundsatzdokumenten immer wieder hervorgehoben wird.