Prof. Dr. habil. Walter Hundt


Veranstaltung : Eine „Brandenburg“ in Afrika – 325 Jahre    brandenburgische Landnahme in Westafrika – was nun!

(8. Februar 2008 in Potsdam)


Referat zum Thema: „Zum Umgang mit der brandenburgischen Kolonialgeschichte  nach 1990 und zu den sich herausbildenden Formen der Zusammenarbeit mit Afrika/Ghana“


- Knappe Gedanken in Thesen -


  1. Zur neuen politischen und wissenschaftlichen Struktur der Beschäftigung mit Entwicklungspolitik (einschließlich der Kolonialgeschichte Brandenburgs) nach 1990
  2. Zum Umgang mit Entwicklungspolitik im allgemeinen und mit der brandenburgischen Kolonialgeschichte im besonderen nach 1990
  3. Zu den neu entwickelten  Formen der Arbeit über bzw. in Afrika/Ghana nach 1990
  4. Kurzgefaßter Versuch einer Wertung der Haltung brandenburgischer Landesregierungen in der Frage der Kolonialgeschichte/ Kolonialpolitik Brandenburgs im Rahmen ihrer Haltung zu Entwicklungspolitik/ Entwicklungszusammenarbeit generell (aus wissenschaftlich-politischer Sicht)



  1. Zur neuen politischen und wissenschaftlichen Struktur der Beschäftigung mit Entwicklungspolitik (einschließlich der Kolonialgeschichte Brandenburgs) nach 1990


Wie fing alles an, und wer war – schnell oder weniger schnell – mit uns von der Partie ? Mitte 1991 entstand in Potsdam (nach der Abwicklung der Abt. Entwicklungsländer des Instituts für Internationale Beziehungen) eine Arbeitsgruppe „Brandenburg in der Dritten Welt“ an der sich neu formierenden Universität Potsdam, aus der wenig später das selbständige (also aus der Universität herausgelöste) Brandenburgische Entwicklungs- politische Institut (BEPI) e.V. hervorging. Zu den ersten festen Mitarbeitern gehörten u.a. Dr. Klaus Schmidt, Birgit Saack-Mitawi und Adina Hammoud. Das BEPI war ein echtes „Wendeprodukt“ (übrigens das einzige derartige in den neuen Bundesländern), entstanden auf der Deponie der „Entsorgung“ der ostdeutschen Entwicklungsländertätigkeit in Lehre, Forschung und im gesellschaftlichen Leben. Im Rahmen der neuen Universität wurden wir von den neu „eingeflogenen“ westdeutschen Professoren in der allgewaltigen sogenannten Strukturkommission mißtrauisch als struktureller „Wildwuchs“ beobachtet, aber tatkräftig unterstützt durch den neuen Rektor Prof. Dr. Mitzner und Ministerpräsident Dr. Stolpe, an den ich mich noch am Tag der Gründung mit der Bitte um politische Unterstützung gewandt hatte.

Wenn man die Frage nach der Rezeption der brandenburgischen Kolonialgeschichte nach 1990 stellt, so muß hervorgehoben werden, daß - bei Fehlen jeglicher Aktivitäten im fachlich-universitären und im gesellschaftlichen Raum - die AGr bzw. das BEPI zum Zentrum der Rezeptivität und zum zentralen Instrument der Rezeption wurde. Dabei stand mir als erster - außerhalb unseres Teams – aktiv der aus Westberlin zurückgekehrte Pharmazeut und Alt-Potsdamer Wolfgang Wirth zur Seite, der die Brandenburgisch-Afrikanische Gesellschaft (BAG) in Potsdam gründete, mit uns eng kooperierte und uns mit Rat und Tat sowie mit der Herausgabe der Originaltexte Otto von der Groebens unterstützte. In der von uns ab 1992 heraugegebenen Schriftenreihe „Brandenburgische Entwicklungspolitische Hefte“ (BEH) wurden vier Hefte zur Ghana-Brandenburg-Problematik allgemein und zu den Kolonialgebieten Großfriedrichsburg und Arguin in Westafrika und St. Thomas in der Karibik herausgegeben und in relativ hoher Auflage kostenlos unter die Leute gebracht. In der Folgezeit wurde im Rahmen der auf der ganzen Breite entwicklungspolitischer Probleme entfalteten Arbeit der AGr bzw. des Instituts eine umfassende Vortragstätigkeit organisiert, zu der auch eine Serie von Veranstaltungen mit der BAG zum kolonialgeschichtlichen, zum politisch-aktuellen und zum projektbezogenen Beziehungsfeld Brandenburg-Ghana gehörte, von der Bevölkerung, einem Teil der NRO und Mitarbeitern der Hochschuleinrichtungen gut angenommen. Dabei verfolgten wir stets neben dem kolonialgeschichtlichen Zweck vorrangig Zielstellungen der entwicklungspolitischen Bildung.

Beim weiteren strukturellen Ausbau des BEPI entstanden zehn Bereiche, darunter der von Dr. Ulrich van der Heyden, Großfriedrichsburg-Spezialist und Autor des seinerzeit vielbeachteten Bild-Text-Bandes „Rote Adler an Afrikas Küste“, geleitete Bereich „Brandenburgische Kolonialgeschichte“. Unter den Bereichsleitern stießen u.a. auch Uwe Prüfer und Prof. Dr. Claus Montag zu uns.

Zu diesem Zeitpunkt erreichte mich der Brief eines „Komitees zur Kontaktaufnahme mit Brandenburg“ aus Prince’s Town (dem seinerzeitigen Großfriedrichsburg), mit einer Selbstdarstellung des Gebiets und der alten brandenburgischen Festung sowie Vor- schlägen für eine Art „diplomatischer Beziehungen“ und konkrete Wünsche der Hilfe für die Region. Dieses Signal war für mich nach einer Verständigung mit der für EZ damals zuständigen Staatskanzlei der Anlaß, die Rundfunk-Journalistin  Andrea Stäritz zu bitten, vor Ort die Situation zu recherchieren. Die Stäritz-Mission lief im Dezember 1994 in Ghana an und führte zu interessanten Ergebnissen (u.a. fand sie kurioserweise den Umschlag unseres BEH 3 über Großfriedrichsburg - ohne den Textteil - bei einem Empfang im Hause des Königs Nana Kundumua IV. vor!). Im Mai 1995 initiierten wir auf einer BEPI-Beratung die Gründung eines eigenen Verein für die Großfriedrichsburg-Arbeit, der sich  im Dezember 1995 in Gestalt des „Brandenburg-Prince’s Town-Eine Welt e.V.“ mit Mitgliedern aus Ost- und Westdeutschland sowie Freunden aus Ghana formierte und in den ersten Jahren seiner Existenz diverse Projektaktivitäten entfaltete. 1995 produzierte ein ORB-Team unter Leitung von Johannes Unger in Prince’s Town den Film „Roter Adler an Afrikas Küste“, bei dem Bereichsleiter Dr. van der Heyden die wissenschaftliche Beratung vor Ort übernahm.

Für die aktive Mitarbeit an den Aktivitäten des Instituts, die nicht selten mit harten Auseinandersetzungen mit Teilen des Beamtenapparats verbunden waren, danke ich bei heutiger Gelegenheit noch einmal meinem damaligen Team der Mitarbeiter und Bereichsleiter sowie Herrn Wirth von der BAG. Politisch konnten wir uns damals neben Dr. Stolpe im Landtag auf die PDS-Fraktion in ihrer Gesamtheit stützen, auf  eine Gruppe von SPD-Abgeordneten um den ungezählte Male als Initiator handelnden Andreas Kuhnert, den damaligen Fraktionschef Wolfgang Birthler und Steffen Reiche, den Grünen-Abgeordneten  und Gründungsvorsitzenden des BEPI Rolf Wettstädt und nicht zuletzt von einem bestimmten Zeitpunkt an auf den der FDP angehörenden und für uns zuständigen Wissenschaftsminister Dr. Hinrich Enderlein. Allmählich fanden wir auch den konstruktiven Kontakt zur CDU-Fraktion in Gestalt der Fraktionschefs Dr. Diestel und Dr. Wagner sowie MdL Martin Habermann  - insgesamt also ein guter Querschnitt durch den Landtag mit „Ampel-Koalition“ und Opposition.


2.   Zum Umgang mit Entwicklungspolitik im allgemeinen und mit der brandenburgischen Kolonialgeschichte im besonderen

      nach 1990


Was blieb und erwies sich als förderlich, und was kam an Neuem hinzu ? Wie gingen wir damit um ?                 

Unter den Menschen in der DDR gab es eine relativ große Aufgeschlossenheit und teilweise gute Kenntnisse über das Land Ghana, galt es doch lange Zeit als sogenanntes Schwerpunktland, in dem sich auch relativ viele DDR-Bürger als Helfer aufgehalten hatten. Das traf natürlich auch auf Brandenburg zu. Die Brandenburger Periode der Geschichte Ghanas war in erster Linie Historikern und Spezialisten bekannt. Konkrete inhaltlich-politische Fragen zu dieser Problematik gab es demzufolge nicht. Wir hielten es nach der Wende für notwendig, uns und andere damit zu beschäftigen – nicht im Sinne der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Klocksin und Kuhnert im vergangenen Jahr, in der es sinngemäß heißt, wir seien ein freies Land, und jeder könne deshalb forschen, was er wolle, auch zur Großfriedrichsburg-Frage. Wir wollten, daß alle mehr dazu wissen, nicht rein formal, nicht als Selbstzweck, sondern wir betrachteten die Problematik auch gewissermaßen als eine Art von Vehikel zur Auseinandersetzung mit der Geschichte im allgemeinen und mit der Kolonialgeschichte im besonderen zum Nutzen der entwicklungspolitischen Bildung. Dies ordneten wir ein in unser Bemühen um eine unumgängliche Neuorientierung der Entwicklungspolitik und der entsprechenden Wissenschaftsbereiche, was eine Bestandsaufnahme der Vergangenheit naturgemäß einschloß.

Festhalten wollten wir auf jeden Fall an der DDR-Auffassung vom Kolonialismus als verabscheuenswürdige Erscheinung des kapitalistischen Systems; desgleichen am Antikolonialismus als Teil unserer politischen und historischen Position zur nationalen, antikolonialen Befreiungsbewegung der Völker der Dritten Welt, in der das Land Ghana, sein erster Präsident Dr. Nkrumah, die CPP und der GTUC eine herausragende Rolle gespielt hatten. Heute wird das Phänomen dieser Bewegung besonders von rechten Positionen aus in Frage gestellt. Aber selbst bei Katja Kipping (Die Linke) tauchen immer mal wieder sehr eigenartige Äußerungen dazu auf, die man nicht ohne weiteres hinnehmen kann. Wir haben in dieser Hinsicht angeknüpft an frühere Intensionen. Es gab in diesen Fragen keine „Stunde Null“, keinen „Erststart“, sondern einen „Neustart“ unter Nutzung vorheriger Erfahrungen und Potenziale unter anderen Bedingungen. Notwendig war auch ein kritisches Durchleuchten, der Verzicht auf Elemente, die auch vor der Wende nicht nützlich, dennoch aber Praxis waren. Oftmals reichte eine scheinbar progressive, antiimperialistisch verbrämte Phraseologie eines Landes aus, um über innere Ungereimtheiten hinwegzusehen und diese falsch zu bewerten (was übrigens auch vom sogenannten Klassenfeind mit einer anderen Terminologie kaum anders gehandhabt wurde bzw. besonders von der Bush-Administration noch immer so gehandhabt wird!). Mit den neuen Erfordernissen unserer Arbeit war das nicht mehr vereinbar. Nützlich und sehr gut brauchbar auf unserer Seite war ein relativ hohes Fachwissen über die Dritte Welt, mit dem wir uns nicht verstecken mußten. Auch die Kenntnis und die Beherrschung des Handwerkszeugs der marxistischen wissenschaftlich-methodischen Analyse erwies sich als vorteilhaft.

Schwächen, ja erhebliche Defizite an exaktem entwicklungspolitischen Wissen auf unserer Seite galt es möglichst schnell zu überwinden, wo es  möglich war, mit Hilfe westdeutscher Kollegen. So eigneten wir uns relativ schnell eine Vielzahl inhaltlicher und methodischer Elemente an, übernahmen vieles aktiv und waren bemüht, uns in die westdeutsche entwicklungspolitsche und wissenschaftliche Szene einzubringen und in diese einbezogen zu werden.

Resultat der anfänglichen Grundsatzdebatten war aber ebenfalls, daß wir auch unter „Westbedingungen“ bestimmte kritische Positionen aufrechterhalten wollten und auf prinzipielle Kritik an verschiedenen Problemen der EZ und der Kolonialgeschichts- auffassungen nicht verzichten wollten. Dies schloß dann in der Praxis durchaus die Bereitschaft zu tendenzieller und partieller schöpferischer Korrektur ein. Das erstreckte sich auf Auffassungen wie



Unsere noch 1991 verabschiedeten konzeptionellen Schwerpunkte der Arbeit der AGr bzw. des BEPI enthielten u.a. auch die „Orientierung auf den kolonialgeschichtlichen Komplex Brandenburg-Großfriedrichsburg/Westafrika“. Die erwähnte Schaffung eines entsprechenden Bereichs und die Herausgabe von 4 thematischen Heften der Schriftenreihe BEH trugen dem Rechnung. Auch in das neue Lehrprogramm der Diplomlehrgänge wurde auf meine Initiative hin der Komplex des brandenburgischen Kolonialismus aufgenommen und die erste Vorlesung dazu gehalten. In einem unserer ersten Grundsatzdokumente hieß es: „Geschichte ist (auch) gegenwärtiges Nachdenken über vergangenes menschliches Handeln. Ihre Erforschung geschieht unter dem Einfluß von Traditionen, aber auch von Gegenwartserfahrungen und Zukunftserwartungen. Geschichte ist (auch) Auseinandersetzung mit Vergangenem und als solche Bestandteil politischer Bildungsarbeit heute. Wenn sich unsere AGr auch mit der brandenburgischen Kolonialgeschichte beschäftigt, ist dies keinesfalls ein Flüchten in die Vergangenheit – unsere gesamte entwicklungspolitische Tätigkeit beweist vielmehr gerade das Gegenteil.“ Über das Interesse an der Dritten Welt wollten wir die Menschen auch kritisch an die brandenburgische Kolonialgeschichte heranführen, und über das Interesse an letzterer wollten wir andere für die moderne Dritte-Welt-Problematik gewinnen. Unsere kolonialgeschichtlichen Hefte sollten Interesse weiter anregen, aber auch Mitarbeit initiieren, Bereitschaft wecken, ein Stück konkreter Brandenburger Entwicklungsarbeit mitzugestalten. Das Thema Großfriedrichsburg wollten wir aufgreifen nicht als Spezialhistoriker, nicht als Landeshistoriker, sondern als Politologen und Entwicklungspolitiker unter Ausnutzung der Wechselbeziehungen zwischen Geschichte und Dritte-Welt-Problematik. Damit konnte man damals in zweierlei Hinsicht recht schnell in den Ruf eines Exoten geraten.  

      

3.   Zu den neu entwickelten  Formen der Arbeit über bzw. in Afrika/Ghana nach 1990


Arbeitsformen hängen stets ab von der Art der sich herausbildenden bzw. bestehenden Strukturelemente, so auch auf entwicklungspolitischem Gebiet. Diese entwickelten sich in Brandenburg beginnend mit dem Jahr 1990 in quantitativer Hinsicht rasant und hatten auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung - etwa 1999 - die Größeneinheit von ca. 180 erreicht. Für ihre Organisationsform, ihren rechtlichen Status sowie ihre Arbeitsformen und ihre Aktionsräume war eine hochgradige Vielfalt charakteristisch, wie das eindringlich verdeutlicht wurde durch die über einen langen Zeitraum von uns herausgegebenen Jahreshefte der brandenburgischen entwicklungspolitischen Aktivitäten auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens und auch durch die ebenfalls in unserer Schriftenreihe erschienenen Handbücher der im Land  Brandenburg existierenden entwicklungs- politischen Gruppen, Vereine, Institutionen und anderen Akteure. Dort finden sich übrigens auch Untersuchungen über diesbezügliche Aktivitäten von Brandenburger Einrichtungen und Einzelpersonen in der Zeit zwischen dem Ende des II. Weltkrieges und dem Ende der DDR.

Der folgende kurze Überblick erfaßt alle brandenburgischen Akteure, die in der Zeit zwischen 1990 und heute entstanden, gegenwärtig immer noch arbeiten oder aber leider aus unterschiedlichen Gründen ihre Tätigkeit irgendwann einstellten bzw. sich dazu gezwungen sahen. Denn neben der fast stürmisch zu nennenden Zunahme der Zahl standen etwa ab 2000 auch aus objektiven und vielfach aus subjektiven Gründen bedauerliche Einbrüche, Rückschläge und Rückgänge, auf die noch einzugehen sein wird. Wenn heute immer noch eine bedeutende Anzahl von Gruppen und anderen Akteuren in Brandenburg existiert, so hängt dies nicht zuletzt damit zusammen, daß gerade sie vielfach mit Elan und unter Bedingungen der Selbstausbeutung bei nahezu auf Null heruntergefahrener Unterstützung durch die Landesregierung eine ausgesprochen wertvolle Arbeit leisten und um die Fortführung der entwicklungspolitischen Arbeit kämpfen. Etwa 50% aller brandenburgischen Auslandsprojekte entfielen auf Afrika.

 

Überblick über in Afrika tätige oder sich mit Afrika beschäftigende brandenburgische Akteure:

 

                                                                                           Afrika            davon Ghana                                                                                       

  1. Gruppen, Vereine und Auslandsprojekte                             39                         2             
  2. Organisationen, Institutionen u.ä. („Quangos“)                       7                         2   
  3. Schulen                                                                           13                         3
  4. Kommunen                                                                        3                         1
  5. Kirchengemeinden                                                              4                         1
  6. Wirtschafts- und Außenhandelsunternehmen                       15                         4
  7. Wissenschaftliche Einrichtungen                                          6                         -
  8. Einzelpersonen                                              (mindestens)  6                         1

      insgesamt                                                                         93                       14


Bei den in Ghana tätigen, tätig gewesenen oder über Ghana arbeitenden Akteuren handelt es sich um:


Um diese Situation in Brandenburg  zu erhalten bzw. auszubauen und weiterzuentwickeln, bedarf es auf alle Fälle bei den politisch Verantwortlichen im Lande einer neuen Sicht, einer neuen Einstellung zur entwicklungspolitischen Dimension und einer entsprechenden Motivierungsfähigkeit gegenüber den Bürgern. Den Nichtregierungsorganisationen und ähnlichen Gruppierungen ist zu wünschen, daß Landesregierung und Landtag, aber auch die politischen Parteien dem Komplex Entwicklungspolitik / Entwicklungszusammenarbeit / Entwicklungshilfe wieder einen höheren Stellenwert einräumen. Und auch Wirtschaft, Industrie, Handwerk, Außenhandel und Wissenschaft profitieren von einem größeren Interesse der Politik für die Dritte Welt und für Afrika.

                                               

4.   Kurzgefaßter Versuch einer Wertung der Haltung brandenburgischer   Landesregierungen in der Frage der

      Kolonialgeschichte/Kolonialpolitik Brandenburgs im Rahmen ihrer Haltung zu Entwicklungspolitik / Entwicklungs-         zusammenarbeit generell (aus wissenschaftlich-politischer Sicht)


Auf Grund der territorialen und ökonomischen Kleinheit der brandenburgischen Kolonien in Westafrika (Großfriedrichsburg und Arguin) und - nicht davon zu trennen -  in der Karibik (St. Thomas), der zeitlichen Kürze der kolonialen Periode und der im Gegensatz zu den traditionellen Kolonialmächten wie England oder Frankreich kaum bzw. nicht bis in moderne Zeiten zu spürenden bevölkerungsmäßigen Rückwirkung auf Brandenburg sind der Mehrheit der Bevölkerung die seinerzeitigen Ereignisse nahezu unbekannt. Bei einem großen Teil der Kenner der Problematik in Brandenburg, aber zum Teil auch in Ghana, werden sie beschönigt, manchmal auch verdrängt oder unkritisch verklärt und erregen nur ein relativ geringes allgemeines Interesse. In dieser Auffassung bestärkt mich auch der Inhalt und die Art der Beantwortung der erwähnten Kleinen Anfrage vom 27.03.2007 vor dem Landtag durch die Ministerin Frau Prof. Dr. Wanka im Auftrag des Kabinetts. Brandenburgs Kolonialgeschichte ist - trotz ihrer nur etwa 30 Jahre andauernden Kurzlebigkeit - einzuordnen in den rund 500-jährigen komplexen Prozeß europäischer (und deutscher) Kolonialaktivitäten und in „die Kontinuität sowie die Einheit der westlichen Kolonialgeschichte „ … Die deutsche Kolonialgeschichte ist eingebettet in die Globalisierung der Weltgeschichte“ heißt es im neuesten Standardwerk „Deutsche Kolonien. Traum und Trauma“ von Graichen / Gründer. Die oben genannten Faktoren dürfen allerdings nicht darüber hinweg sehen lassen, daß Brandenburg in einem nicht unbedeutenden trikontinentalen Raum eine merkantilkapitalistische Kolonial- und Stützpunktpolitik betrieb. Darin eingeschlossen war der auf Profit gerichtete Dreieckshandel zwischen Afrika, Amerika und Europa mit Produkten und - das wird oft vergessen oder verschwiegen - mit einem schwunghaften Sklavenhandel, dem schätzungsweise 30.000 westafrikanische Sklaven zum Opfer fielen. Vom Ausmaß her handelt es sich zwar nicht - wie in den späteren kaiserlich-deutschen Kolonien in Südwestafrika und in Ostafrika anfangs des 20.Jahrhunderts - um Genozid, also Völkermord. Aber auch der Mißbrauch von Menschen als zu verkaufende Ware, ihre brutale Ausbeutung und die In-Kauf-Nahme von tausenden Toten, die auf dem Seeweg von Arguin nach St.Thomas umkamen, ist ein Verbrechen, das weder juristisch noch moralisch verjähren kann. War das unserer Landesregierung bewußt, als sie die in einigen Passagen leicht arrogant wirkende Erklärung vor den Abgeordneten vortragen ließ?

Großbritannien hat bereits 1807 seinen Sklavenhandel im Unterhaus für unrechtmäßig und ungesetzlich erklärt. Die französische Regierung verabschiedete 2001 - spät, aber dennoch - einen Gesetzestext, in dem von „Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gesprochen wird und der u.a. demgemäße Schlußfolgerungen für die öffentliche Erziehung vorsieht. Die DDR distanzierte sich vielfach von den deutschen Kolonialverbrechen. Auch der Weltkirchenrat hat in einer Erklärung im Dezember 2007 in Genf  koloniale Unterdrückung als Sünde bezeichnet und sich zur Mitschuld der Kirchen wegen ihres Mitwirkens dabei bekannt.

Seitens der Bundesrepublik Deutschland steht eine völkerrechtlich gewichtige parlamentarische Antwort auf die immer lauter werdenden Wiedergutmachungsforderungen aus Namibia (Ausrottungsfeldzüge gegen die Herero, Nama und Damara 1904-08) und aus Tansania (blutige Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands 1904-07) nach wie vor aus. Der Grund ist offensichtlich Angst vor Reparations- und Wiedergutmachungszahlungen, völkerrechtlich als solche deklariert und in angemessener Höhe. Wichtig war zwar die Erklärung von Bundestag und Bundesrat 2004 mit dem Bekenntnis zur historischen Verantwortung für die Verbrechen der deutschen Kolonialherrschaft und deren rassistisches Vorgehen in Südwestafrika. Verhindert wurden aber darin dennoch eine völkerrechtlich basierte Entschuldigung und eine Verurteilung als das, was es in der Tat war: Genozid. Darüber hinaus ging Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul mit ihrer ausgesprochen mutigen Erklärung im August 2004 am Waterberg: „Wir bitten um Vergebung im Sinne des Vaterunsers“. Ferner hob sie eine “besondere Verantwortung“ hervor, erhielt aber kein darüber hinaus gehendes Mandat des Bundeskanzlers Schröder, so daß es in den Augen des namibischen Volkes bei einer halben Sache blieb. Aber selbst das löste in Deutschland einen unüberhörbaren empörten Aufschrei bestimmter Kreise aus.  Auch Bundespräsident Herzog und die Bundeskanzler Kohl und Schröder hatten bei Besuchen stets eine offizielle völkerrechtliche Entschuldigung vermieden und eine finanzielle Entschädigung abgelehnt bzw. „modifiziert“. Inzwischen ist die ganze Angelegenheit offenbar mehr oder weniger wegen der inneren Entwicklung in Namibia und einer Reihe ungeschickter Schritte auf deutscher Seite zunächst wieder festgefahren. Die ganze Kompliziertheit des Problems hatte ich persönlich bei meiner Teilnahme an den Verhandlungen mit den Häuptlingen der Herero-Bevölkerung in Bremen im November 2004 feststellen müssen.

Zeitlich gesehen ist auch die kaiserlich-deutsche Kolonialperiode eine relativ kurze Periode. Die Mittelmäßigkeit der Größe des deutschen Kolonialimperiums berechtigt nicht dazu, die deutsche Brutalität in den Kolonien etwa geringer einzustufen als die britische, französische, italienische oder belgische. Brandenburg als erster in Afrika kolonial in Erscheinung tretender deutscher Staat muß natürlich in seiner politischen und anderen Abgestuftheit gesehen werden, aber ein gewichtiges Signal zur Problematik sollte erwartet werden können.

Unsere Position, die gleichzeitig Mahnung an Landesregierung und Landesparlament sein soll: Großfriedrichsburg  braucht einen Platz in der brandenburgischen (deutschen) Erinnerungskultur. Die Landesregierung spricht dagegen in ihrer Anfragen-Beantwortung davon, daß sie nicht die Absicht habe, ihm in der Erinnerungskultur einen besonderen Stellenwert beizumessen.Dies sei gegebenenfalls Sache der Fragesteller. Meiner Auffassung nach sollte die Problematik alle geeigneten Bereiche des gesellschaftlichen Lebens angemessen durchdringen: in öffentlichen poltischen Debatten; in Museen und Ausstellungen; in Schulen und Hochschulen; in der Denkmalspflege in Brandenburg und in Großfriedrichsburg / Prince’s Town und auf Arguin (wo, wie wir uns überzeugen konnten, viele „steinerne Zeugen“ der offiziellen Entdeckung harren); bei NRO und bei Auslandsprojekten einschließlich des brandenburgischen Landesprogramms „Jugend für Entwicklungszusammenarbeit“; bei den Aktivitäten gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus u.a.m. Andreas Eckert unterstreicht in einem Artikel vom Januar 2008: „Bei der Ausgestaltung des ‚gemeinsamen Hauses Europa’ wird sich das ‚koloniale Erbe’ nicht in den Keller sperren lassen“ – und ich füge hinzu: auch nicht in die Kasematten der Potsdamer Landesregierung oder in die Keller unseres Landtags dort oben auf dem Berge!

Was die Haltung der bisher vier brandenburgischen Landesregierungen zur Entwicklungspolitik / Entwicklungszusammen-arbeit auf Landesebene und damit auch zur Großfriedrichsburg-Problematik anbetrifft, so war die Zeit der von Manfred Stolpe geführten „Ampelkoalition“ (1990-94) und der Ein-Partei-Regierung der SPD (1994-99)  im Rückblick gesagt  für das Wirken der NRO und anderer Akteure die „(halb-)goldene Zeit“, wenngleich sie für uns auch permanente „Kampfzeit“ war. Die Regierung fühlte sich im Prinzip in der erklärten Politik und in meßbaren Ansätzen der Umsetzung einem entwicklungspoli-tischen Grundanliegen tendenziell verpflichtet. Das Kabinett war sichtlich bemüht, Fragen der EZ entsprechend den sich damals ergebenden Möglichkeiten in die Gesamtpolitik einzugliedern und eigenständige Beiträge zu leisten. Dabei  wurde aber sehr schnell ein deutlicher Widerspruch zwischen politischem Willen und finanziellen Gegebenheiten sichtbar. Im Landtag war nach einer gewissen Anlaufschwierigkeit im Umgang miteinander ein entwicklungspolitischer Grundkonsens der Parteien festzustellen, obgleich die verschiedenen Fraktionen bei bestimmten Maßnahmen, darunter erste Schritte zur Unterstützung des Wirksamwerdens in afrikanischen Staaten, recht unterschiedliche Aktivität entwickelten. Ermutigend war damals der auf unsere Forderung hin und durch Initiative des Ministerpräsidenten geschaffene Nord-Süd-Beirat beim Landtagspräsidenten zu bewerten, in dessen Beratungen auch Fragen der Afrika-Arbeit, darunter die Großfriedrichsburg-Problematik, eine Rolle spielten. Einzelne Abgeordnete  waren an Afrika-Projekten der NRO beteiligt oder initiierten  diese sogar. Im Landtag fand unsere erste Ausstellung zu Großfriedrichsburg statt.

Das änderte sich leider in jeder Hinsicht mit dem Wirken der beiden Regierungen der Großen Koalition, zunächst noch unter Stolpe, ab 2002 unter Mathias Platzeck (den wir als Umweltminister noch stets an unserer Seite gehabt hatten!). Das hatte für unser Anliegen schwerwiegende negative Auswirkungen.  Die Mehrheit der Nach-Stolpeschen Politiker hatte - soweit für uns meßbar und öffentlich wahrnehmbar - kaum politisches Gespür für EZ (einschließlich Großfriedrichsburg-Fragen) und war frei von jeglichem Interesse dafür. Der Geist der „Beantwortung“ der Kleinen Anfrage bestärkt mich in dieser Auffassung. Wer uns über alle Landesregierungen welcher Färbung auch immer in leitender Funktion erhalten geblieben ist, das ist der selbst erklärte Erzfeind entwicklungspolitischer Aktivitäten auf Landesebene, gegen die er unter Bruch aller diesbezüglichen Beschlüsse der Ministerpräsidenten-Konferenzen und der Bundesparteitage seiner Partei seit vielen Jahren vorgeht, gegenwärtig in der Funktion des Finanzministers.


Halten wir zur Antwort auf die Kleine Anfrage fest:

 

  1. Der in der Antwort sichtbar werdende Standpunkt ist ahistorisch, politisch falsch, gesellschaftspolitisch und brandenburgpolitisch auch unter dem Aspekt der Ausländerfeindlichkeit, der Migration und der Integration tendenziell gefährlich.
  2. Die Antwort stellt eine vertane Chance dar für eine Reaktion der historischen und völkerrechtlichen Entschuldigung gegenüber den betroffenen Teilen des ghanesischen Volkes zum richtigen Zeitpunkt für die europäische Debatte und für die im Gange befindliche Menschenrechtsdiskussion, wenigstens im Sinne der Verfahrensweise des Bundestages von 2004 und der von der Bundesministerin in Namibia vorgegebenen Orientierung.
  3. Die gegenwärtige Debatte sollte genutzt werden, um über das in Ghana diskutierte  Problem des Anspruchs auf eine materielle Entschädigung und der Wiedergutmachung im Zusammenhang mit dem brandenburgischen Sklavenhandel zumindest nachzudenken. Die Suche eines Gesprächs mit Vertretern der Regierung der Republik Ghana und der Bevölkerung der  betroffenen Region sollte perspektivisch in Erwägung gezogen werden.
  4. Projekte von brandenburgischen NRO und Unternehmen in der stark unterentwickelten Region an der Takoradi-Küste sollten besonders gefördert und unterstützt werden.
  5. Die Antwort stellt auch eine verpaßte Chance dar für eine mutige Korrektur der sattsam bekannten schwerwiegenden entwicklungspolitischen (und im Zusammenhang damit haushalts- politischen) Fehler der Landesregierung in den Jahren nach der Jahrtausendwende, besonders mit ihren einschneidenden Konsequenzen für die entwicklungspolitische Szene. Sie läßt keinerlei Ansätze für eine Konstruktivität des Herangehens an diese Frage erkennen.


Wenn die Botschaft unserer heutigen Zusammenkunft in die allgemeine Debatte gelangen würde, in die Nichtregie-rungsorganisationen, Schulen und Kommunen, aber auch und vor allem in die maßgeblichen Gremien des Staates und des Parlaments, bestände eine gewisse Hoffnung, daß wir wieder und vielleicht wieder schneller auf dem brandenburgischen entwicklungspolitischen Weg vorankommen und dabei die Groß-Friedrichsburg-Thematik mit Erfolg im modernen Sinne nutzen können.