Prof. Dr. habil. Walter Hundt

                                                          

Referat auf dem 12. Potsdamer Kolloquium zur Außen- und Deutschlandpolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Verbandes für Internationale Politik und Völkerrecht am 12.11.2008. Nachdruck in: Ulrich van der Heyden/Gerd-Rüdiger Stephan (Hrsg.), Deutsch-südafrikanische Beziehungen. DDR- Bundesrepublik - vereinigtes Deutschland, Potsdam 2009, S. 91-96


Der Beitrag von ostdeutschen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Prozeß der Gestaltung der Beziehungen zu Südafrika


Bezug nehmend auf die gehaltenen Referate und die Diskussion möchte ich ergänzend auf einen ganz spezifischen Aspekt deutsch-südafrikanischer Beziehungen eingehen: den Beitrag von NGOs im Prozeß der Gestaltung der Beziehungen zu Südafrika und seinen Bürgern, dargestellt am Beispiel der ostdeutschen NGOs (also der NGOs in den sogenannten Neuen Bundesländern auf dem Territorium der früheren DDR) und ihren Aktivitäten in Südafrika und mit südafrikanischen Freunden.

Die Entwicklung der ostdeutschen Bundesländer vollzieht sich unter ganz spezifischen, sich aus der Geschichte vor und nach der Herstellung eines einheitlichen Deutschland ergebenden äußerst komplizierten politischen, ökonomischen, sozialen und anderen Bedingungen. Daraus abgeleitet trifft dies auch auf die ostdeutschen NGOs zu. Im Vergleich mit der alten Bundes- republik existierten im Osten zunächst relativ wenig NGOs, deren Zahl aber inzwischen stark zugenommen hat. Allerdings handelt es sich - auch das ein Unterschied zu den alten Bundesländern - fast durchweg um relativ kleine Gruppen und Projekte mit verhältnismäßig wenigen Mitgliedern, die allerdings inzwischen beachtenswerte entwicklungspolitische Aktivitäten entfalten. Eine allmählich zunehmende Zahl hat sich inzwischen der Zusammenarbeit mit südafrikanischen Gruppen, Projekten und Freunden zugewandt, viele von ihnen unter dem Einfluß der Kirchen.

Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß die DDR - anders als die alte BRD - keinerlei staatliche Beziehungen zur RSA in der Apartheid-Zeit unterhielt. In Westdeutschland existierte ein großes Netz von Solidaritätsgruppen, die  gegen die politischen und Wirtschaftsbeziehungen ihres Landes mit dem Apartheid-Regime eine oppositionelle Haltung einnahmen. In Ostdeutschland gab es diese nicht, aber dort wuchsen die Eltern der jungen Menschen, von denen viele heute in den NGOs wirken, unter Bedingungen auf, unter denen zwar ernsthafte Defizite an Demokratie existierten, unter denen aber der Staat und seine Erziehungseinrichtungen vom Kindergarten über die verschiedenen Schulen bis zu den Universitäten und bis zur Erwachsenenbildung - anders als heute oftmals dargestellt - dafür Sorge trugen, daß die Solidarität mit dem um seine Freiheit kämpfenden Volk Südafrikas und mit dem ANC sowie anderen fortschrittlichen politischen Kräften fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens war. Diese Tradition  prägte viele junge Menschen in unserem Teil der heutigen BRD. Unsere Menschen waren außerordentlich stolz über die Worte Nelson Mandelas nach seiner Wahl zum Präsidenten: „Die Solidarität des Volkes der DDR für das südafrikanische Volk werden wir niemals vergessen.“


Heute gibt es bereits - neben den ungezählten erfolgreichen Beispielen aus den westdeutschen Bundesländern - auch eine ganze Reihe von Beispielen konstruktiver Zusammenarbeit zwischen südafrikanischen Freunden und Gruppen und solchen aus den neuen (ostdeutschen) Bundesländern sowie nichtstaatliche Projekte auf vielen verschiedenen Gebieten der Entwicklung in unseren beiden Ländern. Erwähnte Traditionen möchten wir dabei nicht in Vergessenheit geraten lassen. Beide Seiten profitieren davon, lernen sich besser kennen. Auf einige wenige Beispiele dieser NGO-gestützten Zusammenarbeit sei hingewiesen.

Die wichtigste ostdeutsche NGO ist SODI / Solidaritätsdienst International in Berlin, die mit Teilen der erwähnten Spenden aus der Zeit vor 1990 und mit  heute neu eingeworbenen Spendengeldern arbeitet. Sie hat Projekte in allen Teilen der Dritten Welt, einige der größten davon in Südafrika, die unter der Devise „Hilfe zur Selbsthilfe“ gemeinsam mit südafrikanischen Freunden betrieben werden. Angefangen hatte alles 1993 mit der Rekonstruktion eines kleinen Kindergartens in Johannesburg gemeinsam mit dem Gewerkschaftsdachverband COSATU. Viele andere Projekte folgten. Eines der jüngsten Projekte ist die zunächst auf ein Jahr angelegte Aktion „Krieger für Frieden“ in Kapstadt, bei der ehemaligen Befreiungskämpfern, die nicht in die politischen oder wirtschaftlichen Führungsschichten aufgestiegen sind,  die Reintegration in die Gesellschaft ermöglicht werden soll.


Eine weitere, ursprünglich auch aus einem Teil der Spenden der ostdeutschen Bevölkerung entstandene und nach 1990 auch finanziell ausgebaute  NGO ist die Stiftung Nord-Süd-Brücken. Sie stellte in den letzten Jahren u. a. ca. 150.000 € für verschiedene der erwähnten SODI-Projekte sowie für ein Community Resource Center der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft Leipzig und für die Unterstützung von Apartheid-Opfern durch den Baobab-Eine-Welt-Laden Berlin zur Verfügung. Auch „Krieger für Frieden“ wird von ihr gefördert.


Die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Sitz in Berlin baute in Johannesburg ein funktionsfähiges Regionalbüro auf, das den südafrikanischen Prozeß der Stärkung des demokratischen Potentials unterstützen will und inzwischen zunehmend als Gesprächspartner akzeptiert und in Anspruch genommen wird. Zahlreiche Debatten über gesellschaftliche Zukunftsfragen aus deutscher und südafrikanischer Sicht helfen beiden Seiten. Dabei bringt die RLS speziell ostdeutsche Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Transitionsprozeß ein.


Die Pommersche Evangelische Kirche pflegt seit langem eine Partnerschaft mit der Kap-Oranje-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Südafrika, die auch in der DDR-Zeit gepflegt und besonders ab 1997 intensiviert wurde. 2001 wurde ein offizieller Partnerschaftsvertrag unterzeichnet. 2006 fand erstmalig ein Interkulturelles Pastoralseminar mit 25 Teilnehmern von beiden Seiten mit Unterstützung einer deutschen und einer südafrikanischen Universität statt. Zwischen Kirchenkreisen, Gemeindegruppen und Freundschaftskreisen gibt es außerordentlich vielfältige Kontakte und Aktivitäten.


Herausgebildet hat sich in den letzten Jahren auch die Zusammenarbeit kleiner ostdeutscher Unternehmen und Wissenschafts-einrichtungen mit südafrikanischen Partnern unter Einbeziehung von NGO-Gruppen oder Jugendlichen. So schuf die Handwerkskammer Potsdam einen Firmenpool handwerklicher Unternehmen, die junge arbeitslose Südafrikaner ermutigen sollten, Joint Ventures mit Brandenburger Betrieben im Bauhandwerk zu gründen und Wohnhäuser nach südafrikanischem Muster und mit ortsüblichen Baustoffen und Materialien zu bauen. Damit sollte deutschen Handwerksbetrieben ein Markteinstieg in Südafrika erleichtert werden. Die Kammer tauscht inzwischen mit dem College Kapstadt regelmäßig junge Handwerker aus beiden Ländern zu Praktika vor Ort aus. Mit dem Projekt, das auch von den südafrikanischen Kirchen unterstützt wird, konnten recht gute Erfahrungen gesammelt werden.

Die  Beelitzer Baugenossenschaft in Brandenburg engagierte sich im Rahmen eines Projekts mit der Firma Khulani Xhosa Village in George und erbaute in zwei Etappen in traditioneller afrikanischer Bauweise eine Reihe von Zweckgebäuden mit Werkstätten, Verkaufsräumen  und Anlagen auf einem zentral gelegenen Platz im Zentrum der Stadt. Dabei unterwiesen sie südafrikanische  Kollegen in der Bauausführung und bildeten sie dafür aus. Die Xhosa-Frauen erhielten so die Möglichkeit, die Vermarktung ihrer traditionellen Handarbeiten bei den Touristen in die eigenen Hände zu nehmen, ihre Lebensbedingungen dadurch wesentlich zu verbessern und darüber hinaus den Fremden die Xhosa-Kultur nahezubringen.

Das Unternehmen Diehl & Schwiercz aus Dessau / Sachsen-Anhalt hat seit 2001 einen Kooperationsvertrag mit einem südafrikanischen Partner, auf dessen Grundlage in den Provinzen Kwa Zulu und Gauteng die Trinkwasseraufbereitung verbessert werden soll.

Die SIK-Holzgestaltung GmbH Langenlipsdorf / Brandenburg errichtete mit Unterstützung der dortigen Kirchengemeinde mit 25 Jugendlichen aus Brandenburg, der westdeutschen Stadt Lübeck und aus Südafrika in Soweto und in Berlin große Spielplätze, deren Herzstück ein „Regenbogen als Brückenschlag“ ist. Bei den Bauarbeiten und während ihres Zusammenlebens in einem Workcamp tauschten sich die Jugendlichen über die Probleme der Entwicklung in ihren Ländern aus und konnten viele Vorurteile abbauen.

An der Universität Potsdam / Brandenburg wurde mit Studenten ein Projekt entwickelt, das die Weiterentwicklung der Technologien zur Wassermehrfachnutzung und zur naturnahen Abwasserentsorgung für eine Kommune in der Region Nsikazi in Südafrika beinhaltet. Dabei soll Wasser gespart, Solarenergie genutzt und das Klima entlastet werden.  Beteiligt sind fünf deutsche Firmen und mehrere südafrikanische Partner. Alle Schulungs- und Trainingsmaßnahmen werden vor Ort durchgeführt. Für die Bewohner entstehen neue Arbeitsplätze.


Daneben sind eine Vielzahl von Mini-Projekten entstanden, die jedes für sich genommen ganz kleine, bescheidene Bausteine für die Intensivierung der Zusammenarbeit Deutschland-Südafrika sein können. Als ein Beispiel kann der Solidario-Eine-Welt-Laden in Potsdam / Brandenburg stehen, der mit der Kirchengemeinde eine Südafrika-Ausstellung organisierte und Geld sammelte für einen Kindergarten in der namensgleichen Kommune Potsdam in Südafrika.


So stellen die erwähnten Akivitäten der entwicklungspolitischen NGOs generell und in zunehmendem Maße auch der ostdeutschen NGOs allmählich einen wichtigen Baustein für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit Südafrika-Deutschland dar. Sie ordnen sich ein in die entsprechenden Aktionen der Politik, der Wirtschaft, der Kultur, der Kirchen und anderer Akteure. Sie sind so auch eine nicht unwichtige Unterstützung des 2001 vom damaligen Bundespräsidenten Rau und dem seinerzeitigen südafrikanischen Präsidenten Mbeki initiierten auf Dauer bzw. langfristig angelegten Loccum-Oudtshoorn-Prozesses „People to People Dialogue – Partnership on Cooperative Development Germany-South Africa“, in dessen Rahmen wechselseitig mehrtägige Konferenzen zur Planung, zur Analyse und zum Erfahrungsaustausch durchgeführt werden (und in dessen Ständiger Delegation ich die Ehre habe, Belange Ostdeutschlands und der NGOs generell zu vertreten).