Jahresliteraturbericht 7

(Erscheinungsjahr 2017)


Militärisch-historische und militärtechnische Analysen im Rahmen

der DDR-Luftwaffen-Geschichtsschreibung

im Zeitraum 2016 / 2017


Walter Hundt




Auch im Jahr 2016 nahm der sich in den letzten Jahren abzeichnende Trend einer quantitativen Abnahme der Autoren und damit einschlägiger qualitativ hochwertiger Publikationen von LSK/LV-Titeln zu.



Die Rolle der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Grundsatz-, Standard- bzw. Querschnittspublikationen zur NVA im Jahr 2016 (bzw. in den ersten Tagen 2017)


Bei der Analyse der diesbezüglichen literarischen Situation des Jahres 2016/17 kann auf fünf grundsätzliche Standardtitel zur Geschichte der NVA als Ganzes und  ihrer Waffengattungen hingewiesen werden, die auch die Probleme der Luftstreitkräfte / Luftverteidigung und deren Waffengattungen beinhalten und sie einer Analyse unterziehen.


In den ersten Tagen des Jahres 2017 erschien das hoch-interessante Standardwerk von Oliver Bange „Sicherheit und Staat. Die Bündnis- und Militärpolitik der DDR im internationalen Kontext 1969 bis 1990“ 1). Der Autor des vom Militär-geschichtlichen Forschungsamt/Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissen-schaften der Bundeswehr in Potsdam im Ch. Links Verlag Berlin herausgegebenen voluminösen Grundsatzbandes  behandelt mit Akribie das vom Titel erfaßte weit-gesteckte Thema. Ich gehe lediglich auf das für unsere Thematik höchst relevante Kapitel VI, Unterkapitel 2 „Die Problematik einer ,Sicherheitspartnerschaft' mit Russland 1989 bis 1998  und die MiG-29  in der Bundeswehr. Eine Studie zur Bedingtheit der sicherheits- und militärpolitischen Planung“ ein. Uns interessiert hier ein scheinbar untergeordneter Nebenaspekt aus diesem Unterkapitel, nämlich   die uns besonders und speziell interessierende Thematik der Rolle und des Gewichts der von der NVA/LSK übernommenen Jagdflugzeuge des sowjetischen Typs MiG-29 durch die Bundesluftwaffe. Für den Verfasser des vorliegenden Jahresliteraturberichts  besteht ein besonderes Interesse, hatte er doch im Verlauf seines zivilen und militärischen Lebenslaufs  in der DDR und in Afghanistan/Bagram direkten Kontakt mit besagter Materie. Ein beträchtlicher Teil der Mitglieder unserer „Gemeinschaft der Flieger deutscher Streitkräfte e.V.“  aus Ost und West hat auspersönlichem Erleben Interesse an der Thematik. Ich persönlich konnte mich über Jahre auf freundliche Debatten mit Oberst a. D. Manfred Skeries stützen, dem ersten Deutschen, der eine gefechtsbereite MiG-29  in der Sowjetunion flog, danach in den Luftstreitkräften der DDR und später in der Bundesluftwaffe.

 

Autor Dr. Bange bezeichnet den Typ als „echtes Kind des Ost-West-Konflikts“:  mit seiner Überlegenheit gegenüber der „3. Generation westlicher Jäger und Jagdbomber, auch ausgelegt für die Bekämpfung von Marschflugkörpern unter Mitteleuropa-Bedingungen. Bange hebt die Überlegenheit bei der Luftjagd sowie bei der direkten Unterstützung der Bodentruppen einschließlich der Verteidigung von Flugplätzen und Infrastruktur hervor. Dabei geht er auf Faktoren ein wie geringe Zuladekapazität, relativ kurze Reichweite und beschränkte Startfähigkeit auf Feldflugplätzen. Bange erläutert die vom Erstflug im Oktober 1977 bis zur Pro-duktion ab 1982 und zur Indienststellung 1983 vorgenommenen Verbesserungen bis zu hervorragenden technisch-fliegerischen Verbesserungen von Bedeutung wie das „Manöver Kobra“ (Fähigkeit, in der Luft senkrecht zu „stehen“),  die Frontscheiben-projektion, die Helmvisieranlage (Anvisieren per Kopfbewegung) u.a. Summasummarum kommt der Autor zur Feststellung, daß es sich um „ein äußerst zuverlässiges Flugzeug“ handelt. Die Vielzweckvariante MiG-29 M wird noch heute produziert und weltweit exportiert.


Bange schildert den wahrscheinlich angesichts der strategischen Gesamtsituation und vor diesem Hintergrund der technisch-fliegerischen Überlegenheit einmaligen Vorgang der Übernahme eines aus 24 Maschinen bestehenden Geschwaders mit DDR-Personal in die Bundesluftwaffe, die Übernahme des bis dato-Kommandeurs als Vize-Kommandeur und die Qualifizierung des westdeutschen Personals, die technische „Germanisierung“  (MiG-29 G und MiG-29 GT als Zweisitzer) – vom Autor stets gewertet – wie bereits deutlich hervorgehoben - unter dem strategischen Aspekt. In der Praxis kam es sogar zum „Maschinen-Verleih“ an die US-Luftwaffe und an die Luftstreitkräfte Israels. Auf Unverständnis stieß der als „Abschleusung“  bezeichnete Pseudo-„Verkauf“ des fast kompletten Geschwaders an die polnischen Luftstreitkräfte zum „Preis“ von 1 Euro pro Maschine! Angeblich wurde später eine der Maschinen für mehr als 1 Mill. Euro für „museale Zwecke“ von der BRD zurückgekauft!


Der gesamte Vorgang muß auch unter strategischen Aspekten gesehen werden, zumal dies gern vertuscht wird. Und dies zumal auch, da sicherheitsbedrohende Gesichtspunkte durchaus eine Rolle spielten. Auch „Spiele“ mit dem irakischen und dem iranischen Potential aus russischen Lieferungen wurden praktiziert. Auch diese Aspekte deckt der Autor – meiner Meinung nach als erster und in relativer Offenheit und Komplettheit - auf, ungeachtet von Rangeleien im Bundesverteidigungsministerium. Auch auf versuchte Ansätze einer industriellen Kooperation zwischen den produzierenden russischen und westdeutschen Industrie-zweigen weist er in aller Deutlichkeit hin. Das trifft auch auf zahlreiche NATO-Querelen, „Bremsklötze“ auf russischer Seite u.ä. zu. Natürlich gab es auch diverse, die Sicherheit bedrohende Aktivitäten beiderseits und die nicht völlig ausgeräumte Gefahr der Verschiebung des sicherheitspolitischen Koordinatensystems.  


Hier ist auch auf die vier bereits einmal im Rahmen einer Erstauflage im Ergebnis diverser Arbeiten in den neunziger und zweitausender Jahren erschienenen Publikationen hinzuweisen, die nunmehr erneut 2016/17 als Band 1 „Was war die NVA? Ihr Platz in Geschichte und Alltag" 2),  als Band 2 „Was war die NVA? Krisen, Wende und Übergang" 3),  als Band 3 „Was war die NVA? Militär-politik, Militärräte, Waffengattungen, Einrichtungen und Dienste“ und als Band 4 „Was war die NVA? Ihre Auflösung und Integration in die Bundeswehr“  von einem riesigen Autorenkollektiv im Rahmen der Arbeits-gruppe Geschichte der NVA und Integration ehemaliger NVA-Angehöriger in Gesellschaft und Bundeswehr beim Landesverband Ost des Deutschen Bundeswehrverbandes verfasst und bei BEBUG mbH / edition berolina Berlin erschienen sind. Sie enthalten auf 2.638 Seiten Studien, Analysen und Berichte zur NVA-Geschichte einschließlich natürlich der LSK/LV. Zwei weitere Bände sind in Erwägung gezogen.


Eine höchst wichtige aktualisierende Ergänzung dazu bietet der von Bernd Biedermann u.a. verfasste Titel „Zur Geschichte der NVA. Was wurde tatsächlich aus der NVA? Insider blicken zurück"4), herausgegeben 2016 bei Steffen Media Friedland in Form einer Broschüre. Er liefert einen wichtigen Beitrag zur Vervollkommnung der Untersuchungen zur Geschichte der NVA

und ihrer Teilstreitkräfte Der Autor, bekannt durch zahlreiche Grundsatz-Publikationen, sieht eine Behandlung der Frage nach der tatsächlichen Entwicklung seit der Auflösung der NVA und ihrer Teilstreitkräfte, darunter der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, in den folgenden 25 Jahren als unbedingt  erforderlich und unumgänglich an und nutzt den 60. Jahrestag der Gründung der NVA am 1. März 2016 als Anlass. Er setzt sich auseinander mit den zahlreichen Versuchen, die erste deutsche Armee, die keinen Krieg geführt hat und an keinerlei Intervention beteiligt war, zu diskreditieren. Dabei wird die NVA „passgerecht" in die gängige BRD-Geschichtsschreibung eingeordnet, was zu zahlreichen falschen Fakten und Wertungen führt. Deshalb versucht Biedermann - entgegen „westlichen" Darlegungen und Dokumentationen - grundlegende Tatsachen über „kritische" Fragen herauszuarbeiten und

richtigzustellen.


Erinnert wird an die Waffenlieferungen in erstaunlichen Mengen und Größenordnungen an Verbündete der BRD. Da sind vor allem solche an die USA für deklariert als „Export zu den Alliierten des 1. Golfkrieges“. Hier handelte es sich um in mehrfacher Hinsicht der NATO-Luftwaffe überlegene MiG-29-Jagdflugzeuge und Mi-24-Kampfhubschrauber, sämtlich in einem technisch außer-ordentlich guten Zustand. Kaum erwähnt wird die nahezu komplette Übernahme aller Kriegsschiffe der Volksmarine mit voller Kampfausrüstung durch die Marine Indonesiens. Das trifft auch auf die Verschrottung der Raketen des hoch-modernen Raketen-Systems R-400 „Oka" (SS-23) zu. Bei dieser Art politisch-militärischer (und finanzieller) „Entsorgung" fanden neben den USA

auch Länder wie Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, weitere 13 europäische Länder, die Türkei, Israel, Ägypten und weitere arabische taaten, Indonesien, Singapur und zahlreiche andere Länder - insgesamt 61 - Berücksichtigung.


Aufschluss über den Verbleib und den Umgang mit 50.000 Berufs- und Zeitsoldaten der NVA geben die Feststellungen des Autors. Aber auch über den internationalen Skandal des faktischen Verschwindens einer hochmodern ausgerüsteten, hoch- technisierten Armee, ihrer Landstreitkräfte, aber auch ihrer Luftstreitkräfte und ihrer Seestreitkräfte, ohne jegliche qualitative und quantitative Übersicht und ohne jegliche rechtlichen Unterlagen über die finanzielle Seite des beispiellosen, faktisch einmaligen Prozesses. 135.000 Armeeangehörige und deren Führungskräfte sowie ihre hochentwickelte technische Basis einschließlich der Kasernen und anderer Gebäude verschwanden vom militärhistorischen Schauplatz Mitteleuropas ohne jegliche juristische Fixierung.


Diesen Prozess beschreibt Biedermann in aller erschreckender Deutlichkeit: vom riesigen, durch die US-Streitkräfte übernom-menen technischen Material der NVA für die amerikanische Kriegführung in Kuweit bis zu angeblichen, zu keinerlei finanziellen Abrechnung führenden Verkäufen an die erwähnten Staaten. Der Autor versucht, eine nachmessbare „Verrechnung“ eines gewichtigen Teils des DDR-Eigentums vorzunehmen. Die Ergebnisse sind beispiellos erschreckend.


Ausführlich wird der ebenso beispiellose Umgang mit den militärischen Repräsentanten der DDR, aber auch mit einer ungezählten Menge von Armeeangehörigen, Potentiale und ihrer eigenartigen Inanspruchnahme gemäß Vertrag über die Reduzierung der Kontingente gemäß KSZE-Vertrag. Interessant auch die Darlegungen auf der Basis der durch die Entwicklung bedingten Lebenswege Tausender Ex-DDR-Bürger.


Biedermann setzt sich mit dem Begriff „Armee der Einheit" auseinander. Er behandelt ausführlich die breitgefächerte „Nutzung“ der hochqualifizierten Technik der Landstreitkräfte sowie der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung, der Volksmarine sowie der anderen bewaffneten Kräfte der DDR. Die LSK/LV befanden sich in einem ausgezeichneten Zustand der Einsatzbereitschaft, als sie

von der Bundeswehr übernommen und - wie zum Beispiel das MiG-29-Geschwader zum Stückpreis von 1 Euro an die polnische Armee -  verhökert wurde. Auch die diversen Einrichtungen und Immobilien gingen nicht selten einen sehr eigenartigen Weg.

 

Der Autor schreibt außerordentlich zutreffend über den in der Militärgeschichte einmaligen Vorgang: „Eine einsatzbereite, modern ausgerüstete, ungeschlagene Armee übergab buchstäblich mit einem Zählappell neben ihrem Personal auch ihre Liegenschaften, Finanzen, Dokumente und ihre gesamte Bewaffnung und Ausrüstung“. Diese Vorgänge gingen ohne jegliches über das Gesamt-vermögen der NVA in Höhe Übernahme-/Übergabeprotokoll von ca. 200 Mrd. DM vor sich. Dazu gehörten allein seitens der LSK/LV 446 Kampfflugzeuge (darunter 24 MiG-29, eine große Zahl MiG-21, 1 MiG-23, 2 Su-22 und 118 Hubschrauber (darunter 51 Mi-24).



Vom Start bis zur Landung - zur Geschichte der Fliegerkräfte der LSK/LV


Erneut haben sich zwei aus dem großen Kreis der Flugzeugführer, die zwar altersmäßig nicht mehr zu den Piloten der „ersten Stunde" gehörten, dennoch aber die vielgestaltige Entwicklung unserer Jagdflieger, ihre kontinuierlich verlaufende Qualifizierung und die fortlaufende Entwicklung der ihnen zur Verfügung stehenden Technik nahezu von Anfang an kennenlernten und schließlich bis gegen Ende mitgestalteten, entschlossen, ihre Kenntnisse und ihre Erfahrungen in gedruckter Form dem Leser vorzulegen. Damit gestalten sie gleichzeitig die spannende Geschichte ihres Lebens - geboren während der Krieges - und ihre fliegerische Laufbahn in den Fünfzigern bis Achtzigern zu einem weiteren interessanten persönlichen Beitrag zur Geschichte der DDR-Luftstreitkräfte.


Dem in Roman-Form vorgelegten  Band „Im Krieg geboren“ 5) von Dieter Kleemann ist ein von ihm verfaßtes Gedicht ans Ende gestellt, das zusammen mit dem Titel des Buches ein anschauliches Bild vermittelt, wie die „Startlöcher“ seiner Generation aussahen, aus denen heraus das geschilderte Leben und damit eine fast beispiellose militärisch-berufliche Karriere ermöglicht wurden. Es ist Absicht des Autors, die prägende Rolle der Kindheitsjahre, Fliegeralarm, Fluchtmonate und die Jahre nach dem Krieg darzustellen. Die Erlebnisse dieser Jahre - so kann man sicher sagen – spielten bei Lebensentscheidungen in den Folge-jahren bei ihm eine außerordentliche Rolle, auch bei den Entscheidungsfindungen im weiteren Lebenslauf, die ihn letztendlich in Spitzenfunktionen der Militärfliegerkräfte führten. Es scheint zu den Vorsätzen des Autors zu gehören, alle erforderlichen Entscheidungen auf jeder Ebene von einem bestimmten Zeitpunkt an möglichst frühzeitig - also rechtzeitig - zu durchdenken und falls möglich, tiefgründig zu analysieren, um stets rechtzeitig und richtig Entscheidungen zu treffen, vor allem dort, wo „Unheil“ noch zeitig genug erkannt werden konnte. Nicht immer spielte das Schicksal dabei richtig mit. Der Autor läßt spüren, wie wichtig und unumgänglich inneres qualitatives Wachsen ist.


Vielleicht auch deshalb seine Entscheidung, der Kindheit einen recht breiten Raum im Buch (knappe Hälfte) einzuräumen und seinen Namen durch das Pseudonym Pieter Grasmann zu ersetzen. Der Roman stellt die Kompliziertheit der kindlich-jugend-lichen Lebenssituationen dar, der die Kriegs- und Nachkriegsgeneration ausgesetzt war. Pieter hat eine biographische Verwandt-schaft mit dem Leben des Autors. Eine versunkene Welt lebt wieder auf. Es werden lebensgefährliche, abenteuerliche, aber auch amüsante Geschehnisse erzählt. Das Überleben von gefährlichen Notlagen in den Wirren des Krieges und in der schwierigen Nachkriegszeit prägten die Erkenntnisse und Erfahrungen des Buchhelden. Sie formten seine Einstellungen zu den Beziehungen der Menschen untereinander.


Da er in seiner Kindheit und der Jugendzeit allgemein, aber auch den Erfahrungen des Vaters im Krieg und vor allem auch in dessen Kriegsgefangenschaft einen wichtigen Platz in seiner Entwicklung einräumt, trägt vieles davon zur Herausbildung seiner allgemein-gesellschaftlichen und politischen Haltung bei und erleichtert offenbar hier und da auch in späteren Jahren in gesellschaftlichen Situationen und später selbst in militärisch-fliegerischer Hinsicht hier und da in wichtigen Fällen die nicht selten schwierige Entscheidungsfindung. Auch der heute oft belächelte Klassenstandpunkt wurde dadurch nicht selten beeinflußt oder beeinflußte wiederum selbst. Dies sollte in späteren Zeiten nicht nur eine Rolle bei notwendigen klaren, nicht selten aber auch in schwierigen Situationen spielen. Es trug hier und da ganz augenscheinlich auch in Zweifelsfällen und bei persönlich nicht 100-prozentig akzeptierten Befehlen oder befohlenen, unveränderlich erscheinenden Entscheidungen von Vorgesetzten oder auch Parteifunktionären  zum „Nachdenken“ bei. Jeder von uns, der in jener Zeit gedient hat, erinnert sich an solche Situationen, die Denken und Handeln verlangten, manchmal ohne innere Zustimmung. Kleemann gehört zweifelsohne zu jenen Menschen, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus Kindheit und Jugendzeit zu nutzen oder zumindest zu beachten oder zu berücksichtigen vermochten, was bei anderen Autoren nicht oft in gleicher Gründlichkeit, Art und Weise und Absicht erfolgt, wie dies in der vorliegenden Buch-Fassung Fakt ist.


Eine neue gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der es keinen Krieg gibt und die es militärisch zu schützen galt, war eine logische Erkenntnis. Er folgte seinem persönlichen Interesse an der Fliegerei und wurde ab 1957 Flugschüler und schließlich Militärpilot der Luftstreitkräfte der DDR. Seine Start-Stationen waren die tschechoslowakische Zlin-126 „Trener“ bei der Gesellschaft für Sport und Technik sowie die Jak-11 und  - nach der Entscheidung, in der NVA mindestens 10 Jahre Dienst zu tun - die bekannten sowjetischen Schul- und Jagdflugzeug-Typen. Dies eröffnete ihm das große Feld der fliegerisch-technischen Qualifizierung mit ständig neuen Anforderungen. Aus Fliegen aus Berufung wird Fliegen als Beruf, wird eine Art Lebensschwer-punkt Fliegen, möglichst mit der neuesten Technik. Beteiligt an seiner Qualifizierung ist auch die in den DDR-Luftstreitkräften legendäre Figur der Jagdfliegerin und Ausbilderin Iris. Politisch-psychologisch belastete ihn eine kader-politisch falsche Entscheidung über all die vielen Jahre hin bis zur „Wende“.


Bautzen, Brandenburg und Rothenburg sind die ersten Standorte seines Lernens und Lehrens und des Kennenlernens der Jak-18 und der MiG-17F, ab 1961 als Fluglehrer und Ausbilder. In Preschen hat er Kontakt mit dem „Witwenmacher“ MiG-19. Die nächsten Typen sind  die MiG-15 UTI, MiG-21F13 und die tschechische L-29. Fachgebiete wie die Aerodynamik  im Überschall-bereich u.ä.  verlangen höchste Anstrengungen. Bei Pieter wird - wie er schreibt - die Faszination Fliegen zur echten Leiden-schaft. Ausführlich schildert er seinen Werdegang beim Katapultieren und bei „besonderen“  (tödlichen) und anderen Vorkommnissen.


Anschaulich schildert der Autor sein dreijähriges Studium an der Militärakademie Dresden, ohne die Probleme der Erziehung bei seinen drei Kindern etwa zu übersehen. Neue Fragen tauchen im Ergebnis des philosophischen Studiums auf, da der „Student“ zahlreiche kritische Zweifel hat, wenn er Hegel studiert, der lehrt „Der Obrigkeit nicht bedingungslos glauben, sondern eigenes Denken ist eine unumstößliche Notwendigkeit“. Ihm kommen Zweifel hinsichtlich des „Ein- und Überholens“. Auch andere kritische Zweifel tauchen im Ergebnis des Studiums auf. Er sieht oftmals keine überzeugenden Erfolge, obwohl diese behauptet werden. Aber von Untergebenen wird dies erwartet und verlangt. Er konstatiert andererseits wichtige Entwicklungen in seinem Denken und in seiner Persönlichkeit im Ergebnis des ungestört tiefgründigen Studiums in vielerlei Hinsicht. Aber da sind auch ernste Zweifel bezüglich der Gesellschaftsordnungen. Und dem Ringen zwischen ihnen. Gefordertes absolutes Vertrauen in Führungen jeglicher Art und Ebene wird durch die Praxis des Lebens zumindest beeinflußt. Ab und an immer wieder auftretende Katastrophen lassen Zweifel aufkommen, ob ausbildungsmäßig  genug getan wird, um Katastrophen zu verhindern, die immer wieder zum dauerhaften Ausfall hochqualifizierter Kader führen. Er vermutet Inkonsequenzen beim Begreifen und Verarbeiten solcher unumkehrbaren technischen und menschlichen Verluste (Abstürze). Andererseits führt ein solcher Akademie-Aufenthalt letztendlich zu einer wesentlichen theoretischen Bereicherung und positiven Veränderungen hinsichtlich von Wissen und Lebenseinstellungen. So wurde dem Autor  im Ergebnis des dreijährigen Studiums die Verantwortung des Stellvertreters des Kommandeurs für fliegerische Ausbildung des Ausbildungsgeschwaders  in Rothenburg übertragen. Der Autor empfand in der Folgezeit immer größere Differenzen zwischen den gegebenen Realitäten in der Praxis und der „gewollten / gewünschten / gefor-derten“ Theorie. Unser Autor wurde erneut in Dienststellungen befohlen, in denen er die volle Verantwortung zu übernehmen hatte, aber erneut - wie in der Vergangenheit - unbegrenzt Zeit „in Vertretung“ oder „mit der Führung beauftragt“ fungieren mußte, was ihn selbst verärgerte und andere in Verwunderung versetzte. Aber irgend jemand wollte das so! So war er für die beiden neuen Geschwader mit Su22M4 der Frontflieger und der Marineflieger am Standort Laage m.d.F.b.


Der Zufall will es so, daß der Autor des vorliegenden Jahresliteraturberichts  zwischen April 1955 und März 1990 - neben seiner Tätigkeit an der Diplomatenakademie der DDR (Institut für Internationale Beziehungen) bzw. vorher wegen der Hallstein-Doktrin an anderen gleichrangigen Hochschul-Einrichtungen und in Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas – in regelmäßigen Abstän-den von etwa 2½ Jahren Dienst jeweils 2 Monate bei den LSK getan hat (ferner an Offiziershochschulen in Kamenz, Berlin, Potsdam und Saßnitz). Auch er machte die gleichen Erfahrungen und hatte gleiche Erfahrungen und ähnliche Bedenken wie Dieter Kleemann, was als Bestätigung für ihn gedacht ist. Es galt „nicht unbedingt immer volles Einverständnis, aber Disziplin“ oder „Zweifel an bestimmten Dingen, aber trotzdem Befehlsausführung“. Auch wie bei Autor Kleemann: „Treue zur Sache, ohne rückhaltslos alles zu glauben“. Ich glaubte oft, Zweifel an bestimmten Dingen herauszuhören, und stellte mir die Frage: „Wie ertragen die das alles immer wieder“.


Auch bei mir entstand von Jahr zu Jahr mehr der Eindruck „Notwendig ist ein kritischer Blick für die Arbeit im Kommando LSK/LV, das von dem „Chef“ geleitet wurde.“ Überzogene Bürokratie war eine Hauptursache für schwindendes Vertrauen in die Führungsgremien. Insgesamt ein „etwas anderes Buch“, das zunehmend von einem bestimmten Zeitpunkt an etwas anders an zahlreiche Probleme herangeht!



Von Peter Ziegert liegt uns ein etwas anders gearteter interessanter Titel vor: „Jagdflieger der Nationalen Volksarmee. Aus meinem Fliegerleben – 25 Jahre MiG-Pilot“ 8). Das Besondere an diesem Titel besteht darin, daß er eigentlich über das berichtet, was für den Autor (genau wie für Hunderte seiner Berufskollegen) das Täglich-Allgemeine war: den Wissensstand täglich erweitern, täglich neue Erfahrungen und Kenntnisse aneignen und notgedrungen dabei immer wieder das Leben aufs Spiel zu setzen. Die Kulisse dafür war die massive und hochgefährliche internationale militärisch-politische Auseinandersetzung zwischen den beiden Militärblöcken in Europa und darüber hinaus. Es handelte sich um die Hauptzeit des Kalten Krieges, in der die Drohung mit Atomwaffen stets aktuell war. Auch Ziegerts Weg führte ab März 1959 über die Segel- und Motorflugzeuge der GST, besonders über die Bodenvorbereitung mit der Jak-18A. Diese Zeit ist dem Werdegang an Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten bis zum Alleinflug gewidmet. Dem Leser bietet das eine gute Studie für die nächste Stufe des Motorflugs. Ab Oktober 1961 ist er Angehöriger der Luftstreitkräfte und studiert an der Offiziershochschule in Kamenz. Ziegert schreibt faktisch eine Art kleines Lehrbuch für den Umgang mit der MiG-15bis und mit der MiG-15UTI. Interessant auch seine für den fliegerisch Interes-sierten mit gewissen Vorkenntnissen psychologischen „Selbstauswertungen“ und die analytische Selbstauswertung der einzelnen Flüge – eine Spezifik der Offiziersschüler-Periode. Dies trifft auch zu auf die technischen Beschreibungen für bestimmte Kampf-aufgaben und das sich daraus ergebende Ausbildungstraining.


Interessante Erkenntnisse ergaben sich aus dem 1973er Einsatz an der Seite der syrischen Luftstreitkräfte, über den bei uns im allgemeinen nicht bzw. äußerst wenig informiert wurde. Peter Ziegert erlebt naturgemäß alle technischen Veränderungen bei den einzelnen Typen MiG-17F, MiG-21SPS (2 Mach), MiG-21M, MiG-21bis und MiG21Lasur/bis und erwirbt die jeweiligen sich daraus ergebenden Leistungsklassen. Bei all dem lernt er nahezu alle Jagdflieger-Flugplätze der DDR kennen. Interessant die Überlegun-gen des Autors zur „Schönheit des Fliegens“ und dessen Gefährlichkeit, zu den „Belastungen von Körper und Geist“, aber auch wichtig für die Piloten-Familien. Faktisch haben die Piloten-Frauen „mitgedient“, waren immer eine ganz besonders wichtige Stütze in diesem Leben. „Stimmen die familiären Verhältnisse, ist das ein nicht zu unterschätzender moralischer Faktor und bedeutete gleichzeitig auch Flugsicherheit in den fliegenden Einheiten“. Hunderte von Kampfpiloten taten auf die oben erwähnte Art und Weise ihren schweren Dienst für „die Sache“.  Der Autor hebt hervor, daß es ab und an  auch „Kommiß-Gepflogenheiten“ gab, an denen er heftige Kritik übte. Er erläutert seine Rolle als Parteisekretär seiner Staffel und seine Auffassung von der „Wende“. Seine These „Trotz der ständigen Bereitschaft und der harten Dienstbedingungen möchten wir diese Zeit nicht missen. Es waren unsere schönsten und wertvollsten Jahre!!!“ spricht für sich.



Mit dem Titel „Regierungsflieger – Geschichte des Transportflieger-geschwaders 44 ,Artur Pieck'. Aus Chroniken und Zeitzeugenberichten 1953-1994. Truppengeschichte. Manuskript 4. Entwurf“ 9) hat sich Franz Spur eines Themas ange-nommen, das sich nur mit viel Mut und akribischer Geduld meistern ließ und dessen unterschiedliche Versuche unterschiedlicher Leute, es  erfolgreich zu bewältigen, in den vielen Jahren nach dem Ende der DDR zunächst sämtlich scheiterten. Mal riß der frühe Tod des eigentlichen Initiators des Projekts Dietbert Lang ihm faktisch die Feder aus der Hand. Verschiedene Mal rissen sich nicht Befugte Teile des Materials unter den Nagel. Mal wurden die Unterlagen dem Verlag edition ost zugeleitet unter Abgabe fester Versprechen, in Kürze ein Manuskript zu liefern. Buchumschläge wurden beim Verlag bereits entworfen, gedruckt und

diskutiert. Aber alle Autoren-Zusagen wurden nach und nach - aus sehr oft unterschiedlichen persönlichen Gründen – zurück-gezogen.


Der Autor dieses Jahresberichts hatte seinerzeit ein längeres  Gespräch mit Verlagsdirektor Frank Schumann/Berlin über Schritte zum Wiederauffinden des plötzlich angeblich verschwundenen Materials. Stationen des Verschwindens der Texte nach den unterschiedlichen Berliner Verhandlungen waren das Luftfahrt-Museum Finowfurt und ein Ehemaliger des TG-44, heute bei der Magdeburger Polizei tätig. Nach Gespächen mit einstmals im Geschwader mit Kommandogewalt ausgestatteten leitenden Offizieren entschlossen sich Norbert Reinsberg und Walter Hundt, die Finowfurt-Magdeburg-Fährte zu verfolgen   Dort fand Norbert Reisberg schließlich den viel gesuchten Pappkarton mit dem offensichtlich nicht mehr absolut vollständigen Ursprungsmaterial.


In der Zwischenzeit hatte Franz Spur sich parallel dazu des Themas erneut angenommen und mit Unterstützung seiner Frau mehrere Entwürfe in seinem Freundes- und Fliegerkreis vorgelegt. Umfang und inhaltliche Gestaltung als außerordentlich wichtige Schritte, aber auch als ein Stück notwendiger, mit großer Spannung erwarteter gewisser Normalität, die seit langem vermißt worden war, stand auf der Tagesordnung. Das Ergebnis liegt in Gestalt des obigen Titels vor, der allerdings leider immer noch nicht auch als Format für den Buchhandel und den Internet-Handel angeboten werden kann. Selbst in einer Vielzahl von deutschen Fliegerkreisen ist Spurs hochinteressante Broschüre nicht bekannt.


Zweifelsohne ist das letztendlich als TG-44 bekannte Geschwader einer der Truppenteile mit der interessantesten Geschichte, auch hinsichtlich seiner personellen Ausstattung sowie der Ausrüstung, was die Vielfalt der modernen Typen betrifft. Die vielfach unter diesem Aspekt  scheinbar unübersichtliche Strukturentwicklung, der sich daraus ergebende fliegende und sicherstellende Personalbestand mit seiner ausgesprochen vielseitigen Personalentwicklung sind zunächst kaum von außen zu durchschauen. Im Prinzip hat der Truppenteil irgendwie Berührung mit allen Typen der übrigen Luftstreitkräfte. Franz Spur bemüht sich, dem Leser die personelle und  technische Ausrüstung im Überblick deutlich sichtbar zu machen. Nicht zu übersehen die über lange Zeit hin bestehenden Dauerkontakte zu den sowjetischen Luftstreitkräften und zur sowjetischen Zivilflotte, aber auch zur Interflug.  Die Regierungsfliegerkräfte wirkten lange Zeit im engsten Zusammenhang mit sowjetischer Technik und sowjetischem Personal. Die Geschwader-Spitze zeichnete sich ungeheuer lange als dauerhaft und stabil aus (z. B. Kommandeur von 1967-1975 Oberst Weise).   


Persönliche Bemerkung: jeder meiner Flüge mit Maschinen des TG-44 nach Afrika, Nahost, Asien oder Lateinamerika vermittelte einem ein psychologisches Hochgefühl an Vorbereitet-Sein auf die jeweils komplizierte bevorstehende politische Aufgabe ! Nicht zuletzt auch ein Verdienst von Personal und Technik!


                                                         



Rezensierte Literatur (JLB 7 / Zeitraum 2016/2017)


1.    Bange, Oliver, Sicherheit und Staat. Die Bündnis- und Militärpolitik der DDR im internationalen Kontext 1969 bis 1990. Ch. Links Verlag, Berlin 2017, 616 S.


2.    Autorenkollektiv,Was war die NVA? Band 1, Ihr Platz in Geschichte und Alltag. Verlag BEBUG GmbH / edition berolina, Berlin 2016, 766 S.


3.    Autorenkollektiv, Was war die NVA? Band 2, Krisen, Wende und Übergang. Verlag BEBUG GmbH / edition berolina, Berlin 2016, 592 S.


4.    Autorenkollektiv, Was war die NVA? Band 3, Militärpolitik, Militärräte, Waffengattungen, Einrichtungen und Dienste.Verlag BEBUG GmbH / edition berolina, Berlin 2016, 752 S.

 

5.    Autorenkollektiv, Was war die NVA? Band 4, Ihre Auflösung und Integration in die Bundeswehr. Verlag BEBUG GmbH /edition berolina, Berlin 2016, 528 S.


6.    Biedermann, Bernd (und Herausgeber-Kollektiv), Was wurde tatsächlich aus der NVA. Insider blicken zurück. STEFFEN MEDIA GmbH, Friedland 2016, 40 S.


7.    Kleemann, Dieter, Im Krieg geboren. MediaScript GbR, Berlin 2016, 324 S.


8.    Ziegert, Peter, Jagdflieger der Nationalen Volksarmee. Aus meinem Fliegerleben - 25 Jahre MiG-Pilot. Eigenverlag 2012, 162 S.


9.    Spur, Franz, Regierungsflieger (Geschichte des Transportfliegergeschwaders 44 „Artur Pieck“ aus Chroniken und Zeitzeugen-berichten 1953-1994) / Manuskript   4. Entwurf, Dresden 2016, 202 S.